Man nennte mir heute eine ganze Reihe Evangeli- scher Reichshofräthe und Residenten her, die seit we- nigen Jahren alle katholische Frauen genommen, und alle ihre Kinder katholisch werden lassen.
Den 14ten Mai.
Meine erste Beschäftigung für heute war, daß ich die
Kaiserliche Sternwarte besah. Sie ist im Uni- versitätshause, und noch von der verstorbenen Kais. M. Ther. unter Hr. P. Hell's Direktion erbaut worden. Hr. P. Hell ist ein gebohrner Ungar, aber seine Vä- ter waren Deutschböhmen. So gros seine Wissen- schaft ist, so gros ist auch sein moralischer Karakter, grade, edel, simpel, offen, schon ein grauer, aber in sei- ner Wissenschaft noch thätiger und muntrer Mann. Auch er erwartet mit Zittern die Reformen des Kaisers. Das Jahr, wo alles in statu quo bleiben sollte, ist bald zu Ende, er hat einen Adjunkt, und einen Bedien- ten, sonst aber gesteht er selber, daß die philosophischen Professoren überhäuft sind. Für manche Wissenschaft ist ein deutscher und ein lateinischer, dabei aber kam es ihm doch fremd vor, daß der Kaiser alles auf Göttingischen Fuß setzen, kleine Besoldungen geben, und den Studen- ten das Bezahlen der Kollegien aufbürden will. Ich sah bei ihm
a) Eine Mittagslinie, die er selbst gezogen hat, und die in einer beweglichen Schnur besteht.
b) Einen sehr grossen Quadranten, von 9. Wiener Schuh im Radius, in Wien gemacht. Es ist eine
Stiege
O o 2
Bemerkungen.
Man nennte mir heute eine ganze Reihe Evangeli- ſcher Reichshofraͤthe und Reſidenten her, die ſeit we- nigen Jahren alle katholiſche Frauen genommen, und alle ihre Kinder katholiſch werden laſſen.
Den 14ten Mai.
Meine erſte Beſchaͤftigung fuͤr heute war, daß ich die
Kaiſerliche Sternwarte beſah. Sie iſt im Uni- verſitaͤtshauſe, und noch von der verſtorbenen Kaiſ. M. Ther. unter Hr. P. Hell’s Direktion erbaut worden. Hr. P. Hell iſt ein gebohrner Ungar, aber ſeine Vaͤ- ter waren Deutſchboͤhmen. So gros ſeine Wiſſen- ſchaft iſt, ſo gros iſt auch ſein moraliſcher Karakter, grade, edel, ſimpel, offen, ſchon ein grauer, aber in ſei- ner Wiſſenſchaft noch thaͤtiger und muntrer Mann. Auch er erwartet mit Zittern die Reformen des Kaiſers. Das Jahr, wo alles in ſtatu quo bleiben ſollte, iſt bald zu Ende, er hat einen Adjunkt, und einen Bedien- ten, ſonſt aber geſteht er ſelber, daß die philoſophiſchen Profeſſoren uͤberhaͤuft ſind. Fuͤr manche Wiſſenſchaft iſt ein deutſcher und ein lateiniſcher, dabei aber kam es ihm doch fremd vor, daß der Kaiſer alles auf Goͤttingiſchen Fuß ſetzen, kleine Beſoldungen geben, und den Studen- ten das Bezahlen der Kollegien aufbuͤrden will. Ich ſah bei ihm
a) Eine Mittagslinie, die er ſelbſt gezogen hat, und die in einer beweglichen Schnur beſteht.
b) Einen ſehr groſſen Quadranten, von 9. Wiener Schuh im Radius, in Wien gemacht. Es iſt eine
Stiege
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Bemerkungen.
Man nennte mir heute eine ganze Reihe Evangeli-
ſcher Reichshofraͤthe und Reſidenten her, die ſeit we-
nigen Jahren alle katholiſche Frauen genommen, und alle
ihre Kinder katholiſch werden laſſen.
Den 14ten Mai.
Meine erſte Beſchaͤftigung fuͤr heute war, daß ich die
Kaiſerliche Sternwarte beſah. Sie iſt im Uni-
verſitaͤtshauſe, und noch von der verſtorbenen Kaiſ. M.
Ther. unter Hr. P. Hell’s Direktion erbaut worden.
Hr. P. Hell iſt ein gebohrner Ungar, aber ſeine Vaͤ-
ter waren Deutſchboͤhmen. So gros ſeine Wiſſen-
ſchaft iſt, ſo gros iſt auch ſein moraliſcher Karakter,
grade, edel, ſimpel, offen, ſchon ein grauer, aber in ſei-
ner Wiſſenſchaft noch thaͤtiger und muntrer Mann. Auch
er erwartet mit Zittern die Reformen des Kaiſers.
Das Jahr, wo alles in ſtatu quo bleiben ſollte, iſt
bald zu Ende, er hat einen Adjunkt, und einen Bedien-
ten, ſonſt aber geſteht er ſelber, daß die philoſophiſchen
Profeſſoren uͤberhaͤuft ſind. Fuͤr manche Wiſſenſchaft iſt
ein deutſcher und ein lateiniſcher, dabei aber kam es ihm
doch fremd vor, daß der Kaiſer alles auf Goͤttingiſchen
Fuß ſetzen, kleine Beſoldungen geben, und den Studen-
ten das Bezahlen der Kollegien aufbuͤrden will. Ich ſah
bei ihm
a) Eine Mittagslinie, die er ſelbſt gezogen hat, und
die in einer beweglichen Schnur beſteht.
b) Einen ſehr groſſen Quadranten, von 9. Wiener
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/617>, abgerufen am 21.12.2024.
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