Ich war kaum in Wien angelangt, als mich der Dänische Hr. Gesandte zur Mittagstafel auf Morgen einladen lies.
Den 12ten Mai.
An diesem Sonntagsabend war, weil es ein schöner Tag war, halb Wien im Prater. Ganze Reihen von Karossen hielten hintereinander, so daß man oft nach 2. Schritten schon wieder stille halten muste. Wo man nur hinsah, saß eine Gesellschaft, und aß und trank. Manche hatten im ächten Geist der Wiener um 4. Uhr schon wieder eine ordentliche Mahlzeit, eine völlig servir- te Tafel. Es laufen immer Italiäner herum, die von langen Knackwürsten jedem herabschneiden. Man bäckt hier junge Hühner und Tauben, wenn ihre Knochen noch wie Sperlingsknochen sind, und ihr Fleisch noch gar kei- nen Bestand hat. Am Lusthause wechselten die Leute zu Tausenden ab, um der Aussicht willen. Nun ward doch der Wald auch grün, und das Gebüsche schattig. Die Häuser der Aubergisten hier sind meistens grosse höl- zerne Schoppen, sie machten aber wohl ein kleines Dorf aus, wenn sie alle beisammen stünden.
Heute versah der Dänische Gesandschaftspredi- ger den ersten lutherischen Offizier im Soldatenhospital mit dem heil. Abendmahl. Der Intendant des Hospi- tals lies ihm wissen, er habe besondern Befehl darzu vom Kaiser, und er stehe ihm für alle Insulte von den Katholicken. Es ging auch ganz ruhig ab.
Vor einigen Jahren noch wäre man, in den Vor- städten besonders, todt geschlagen worden, wenn man nicht vor demVenerabiligekniet hätte. Jetzt seit
des
Ich war kaum in Wien angelangt, als mich der Daͤniſche Hr. Geſandte zur Mittagstafel auf Morgen einladen lies.
Den 12ten Mai.
An dieſem Sonntagsabend war, weil es ein ſchoͤner Tag war, halb Wien im Prater. Ganze Reihen von Karoſſen hielten hintereinander, ſo daß man oft nach 2. Schritten ſchon wieder ſtille halten muſte. Wo man nur hinſah, ſaß eine Geſellſchaft, und aß und trank. Manche hatten im aͤchten Geiſt der Wiener um 4. Uhr ſchon wieder eine ordentliche Mahlzeit, eine voͤllig ſervir- te Tafel. Es laufen immer Italiaͤner herum, die von langen Knackwuͤrſten jedem herabſchneiden. Man baͤckt hier junge Huͤhner und Tauben, wenn ihre Knochen noch wie Sperlingsknochen ſind, und ihr Fleiſch noch gar kei- nen Beſtand hat. Am Luſthauſe wechſelten die Leute zu Tauſenden ab, um der Ausſicht willen. Nun ward doch der Wald auch gruͤn, und das Gebuͤſche ſchattig. Die Haͤuſer der Aubergiſten hier ſind meiſtens groſſe hoͤl- zerne Schoppen, ſie machten aber wohl ein kleines Dorf aus, wenn ſie alle beiſammen ſtuͤnden.
Heute verſah der Daͤniſche Geſandſchaftspredi- ger den erſten lutheriſchen Offizier im Soldatenhoſpital mit dem heil. Abendmahl. Der Intendant des Hoſpi- tals lies ihm wiſſen, er habe beſondern Befehl darzu vom Kaiſer, und er ſtehe ihm fuͤr alle Inſulte von den Katholicken. Es ging auch ganz ruhig ab.
Vor einigen Jahren noch waͤre man, in den Vor- ſtaͤdten beſonders, todt geſchlagen worden, wenn man nicht vor demVenerabiligekniet haͤtte. Jetzt ſeit
des
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Ich war kaum in Wien angelangt, als mich der
Daͤniſche Hr. Geſandte zur Mittagstafel auf Morgen
einladen lies.
Den 12ten Mai.
An dieſem Sonntagsabend war, weil es ein ſchoͤner
Tag war, halb Wien im Prater. Ganze Reihen
von Karoſſen hielten hintereinander, ſo daß man oft nach
2. Schritten ſchon wieder ſtille halten muſte. Wo man
nur hinſah, ſaß eine Geſellſchaft, und aß und trank.
Manche hatten im aͤchten Geiſt der Wiener um 4. Uhr
ſchon wieder eine ordentliche Mahlzeit, eine voͤllig ſervir-
te Tafel. Es laufen immer Italiaͤner herum, die von
langen Knackwuͤrſten jedem herabſchneiden. Man baͤckt
hier junge Huͤhner und Tauben, wenn ihre Knochen noch
wie Sperlingsknochen ſind, und ihr Fleiſch noch gar kei-
nen Beſtand hat. Am Luſthauſe wechſelten die Leute
zu Tauſenden ab, um der Ausſicht willen. Nun ward
doch der Wald auch gruͤn, und das Gebuͤſche ſchattig.
Die Haͤuſer der Aubergiſten hier ſind meiſtens groſſe hoͤl-
zerne Schoppen, ſie machten aber wohl ein kleines Dorf
aus, wenn ſie alle beiſammen ſtuͤnden.
Heute verſah der Daͤniſche Geſandſchaftspredi-
ger den erſten lutheriſchen Offizier im Soldatenhoſpital
mit dem heil. Abendmahl. Der Intendant des Hoſpi-
tals lies ihm wiſſen, er habe beſondern Befehl darzu
vom Kaiſer, und er ſtehe ihm fuͤr alle Inſulte von den
Katholicken. Es ging auch ganz ruhig ab.
Vor einigen Jahren noch waͤre man, in den Vor-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 574. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/612>, abgerufen am 21.11.2024.
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