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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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Den 27sten April.

Heute war mein Erstes, das Kaiserliche Begräb-
nis in der Kapuzinerkirche
zu besuchen. Die Kirche
und die Gruft haben gar nichts besonders. Man geht
in der Kirche linker Hand eine Treppe hinab, und findet
nicht sehr tief -- das Tages Licht macht noch ziemlich
helle -- einen Gang, zu dessen beiden Seiten die Kai-
serlichen und Erzherzogl. Leichen meistens in kupfernen
Särgen, deren Deckel mit allerlei Figuren gezeichnet
sind, hinter eisernen Gittern liegen. In der Mitte steht
das noch zu Lebzeiten erbauete Grabmahl der Kaiserin
Mar. Ther. Ein Altar zum Meßlesen ist auch da,
und hinter diesem erblickt man in der Mitte eine grosse
weibliche Figur, zu beiden Seiten weinende Statuen
mit kleinen Genien darzwischen. -- So viel konnte ich
sehen, weil eben Messe vor dem Altar von einem Kapu-
ziner gelesen wurde, um derentwillen auch einige sehr An-
dächtige hinabgestiegen waren, und auf den kalten Stei-
nen vor dem eisernen Gitter knieten. -- In der That,
das Herz wird sehr empfindlich angegriffen, wenn man
den erbärmlichen, lateinischen, unverständlichen, trost-
losen und Geberdevollen Gottesdienst, der doch das
vornehmste Stück der Römischen Gottseligkeit ausmacht,
zuweilen in der Nähe sieht. Warum muß denn der
Kirchenbediente dem Pfaffen das Kleid küssen, wenn er
das Sakrament zurichtet? Warum hat man doch aus
der simpeln, schönen, rührenden, liebevollen Handlung
Jesu Christi so ein wunderbares Spiel gemacht, worzu
hunderterlei Stellungen und Verbeugungen des Körpers
gehören, die man lange lernen und mit vieler Mühe sich
angewöhnen muß. Traurig und wie von Gott verlassen
steht das arme Volk der Christen da herum, sieht dem

Wunder-
Den 27ſten April.

Heute war mein Erſtes, das Kaiſerliche Begraͤb-
nis in der Kapuzinerkirche
zu beſuchen. Die Kirche
und die Gruft haben gar nichts beſonders. Man geht
in der Kirche linker Hand eine Treppe hinab, und findet
nicht ſehr tief — das Tages Licht macht noch ziemlich
helle — einen Gang, zu deſſen beiden Seiten die Kai-
ſerlichen und Erzherzogl. Leichen meiſtens in kupfernen
Saͤrgen, deren Deckel mit allerlei Figuren gezeichnet
ſind, hinter eiſernen Gittern liegen. In der Mitte ſteht
das noch zu Lebzeiten erbauete Grabmahl der Kaiſerin
Mar. Ther. Ein Altar zum Meßleſen iſt auch da,
und hinter dieſem erblickt man in der Mitte eine groſſe
weibliche Figur, zu beiden Seiten weinende Statuen
mit kleinen Genien darzwiſchen. — So viel konnte ich
ſehen, weil eben Meſſe vor dem Altar von einem Kapu-
ziner geleſen wurde, um derentwillen auch einige ſehr An-
daͤchtige hinabgeſtiegen waren, und auf den kalten Stei-
nen vor dem eiſernen Gitter knieten. — In der That,
das Herz wird ſehr empfindlich angegriffen, wenn man
den erbaͤrmlichen, lateiniſchen, unverſtaͤndlichen, troſt-
loſen und Geberdevollen Gottesdienſt, der doch das
vornehmſte Stuͤck der Roͤmiſchen Gottſeligkeit ausmacht,
zuweilen in der Naͤhe ſieht. Warum muß denn der
Kirchenbediente dem Pfaffen das Kleid kuͤſſen, wenn er
das Sakrament zurichtet? Warum hat man doch aus
der ſimpeln, ſchoͤnen, ruͤhrenden, liebevollen Handlung
Jeſu Chriſti ſo ein wunderbares Spiel gemacht, worzu
hunderterlei Stellungen und Verbeugungen des Koͤrpers
gehoͤren, die man lange lernen und mit vieler Muͤhe ſich
angewoͤhnen muß. Traurig und wie von Gott verlaſſen
ſteht das arme Volk der Chriſten da herum, ſieht dem

Wunder-
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[516/0554] Den 27ſten April. Heute war mein Erſtes, das Kaiſerliche Begraͤb- nis in der Kapuzinerkirche zu beſuchen. Die Kirche und die Gruft haben gar nichts beſonders. Man geht in der Kirche linker Hand eine Treppe hinab, und findet nicht ſehr tief — das Tages Licht macht noch ziemlich helle — einen Gang, zu deſſen beiden Seiten die Kai- ſerlichen und Erzherzogl. Leichen meiſtens in kupfernen Saͤrgen, deren Deckel mit allerlei Figuren gezeichnet ſind, hinter eiſernen Gittern liegen. In der Mitte ſteht das noch zu Lebzeiten erbauete Grabmahl der Kaiſerin Mar. Ther. Ein Altar zum Meßleſen iſt auch da, und hinter dieſem erblickt man in der Mitte eine groſſe weibliche Figur, zu beiden Seiten weinende Statuen mit kleinen Genien darzwiſchen. — So viel konnte ich ſehen, weil eben Meſſe vor dem Altar von einem Kapu- ziner geleſen wurde, um derentwillen auch einige ſehr An- daͤchtige hinabgeſtiegen waren, und auf den kalten Stei- nen vor dem eiſernen Gitter knieten. — In der That, das Herz wird ſehr empfindlich angegriffen, wenn man den erbaͤrmlichen, lateiniſchen, unverſtaͤndlichen, troſt- loſen und Geberdevollen Gottesdienſt, der doch das vornehmſte Stuͤck der Roͤmiſchen Gottſeligkeit ausmacht, zuweilen in der Naͤhe ſieht. Warum muß denn der Kirchenbediente dem Pfaffen das Kleid kuͤſſen, wenn er das Sakrament zurichtet? Warum hat man doch aus der ſimpeln, ſchoͤnen, ruͤhrenden, liebevollen Handlung Jeſu Chriſti ſo ein wunderbares Spiel gemacht, worzu hunderterlei Stellungen und Verbeugungen des Koͤrpers gehoͤren, die man lange lernen und mit vieler Muͤhe ſich angewoͤhnen muß. Traurig und wie von Gott verlaſſen ſteht das arme Volk der Chriſten da herum, ſieht dem Wunder-

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/554>, abgerufen am 21.11.2024.