ich nichts zu essen haben konnte, und auch kein Bier zu haben war, schönes Obst umsonst, und der in Mölk theilte eben so wohlfeil sein schmackhaftes Hausbackenbrod mit mir. Gröber aber war keiner, als der in Bur- gersdorf.
Den 17ten April.
Reisen ist ein wahres Bild des menschlichen Lebens. Man stößt tausendmahl an, geräth in unzähliche Schwie- rigkeiten, findet oft überall Hindernisse, leidet oft da, wo's am meisten schmerzt, Schaden, verliert beständig einen Theil seiner Güter, wird oft mismüthig und sehnt sich nach Ruhe, lernt sich in die kleinsten Umstände schi- ckea, gewöhnt sich mit allen Menschen umzugehen, wird immer unruhig wegen der Zukunft -- nnd unvermerkt kommt wieder bessre Zeit, man findet gute Menschen, man reist einen ebenen Weg, man erfreut sich der Dinge, die den Weg umgeben, man vergißt im Arm der Ruhe und der Freundschaft das ausgestandene Ungemach, man gewinnt andre Menschen lieb, und lebt mit ihnen, als wenn man sie schon Jahre lang kennte, man vergißt der schnellen Flucht der Zeit, und meint, es wäre gut, wenn das ganze Leben so dahinflösse. -- Ach Philosophie und Menschenweisheit! wie bist du so klein und dürftig, wenn man dich am nöthigsten hat!
Eben mit dieser Betrachtung beschäftigt, kam ich nach 4. zurückgelegten Stationen endlich glücklich in Wien an, das sich sehr schön *) präsentirt. Wahrhaftig ein
deutsches
*) Ueberhaupt wird in der Welt wohl keine Residenz seyn, die von allen Seiten einen so herrlichen Anblick darbietet, als Wien.
Zweiter Theil. G g
ich nichts zu eſſen haben konnte, und auch kein Bier zu haben war, ſchoͤnes Obſt umſonſt, und der in Moͤlk theilte eben ſo wohlfeil ſein ſchmackhaftes Hausbackenbrod mit mir. Groͤber aber war keiner, als der in Bur- gersdorf.
Den 17ten April.
Reiſen iſt ein wahres Bild des menſchlichen Lebens. Man ſtoͤßt tauſendmahl an, geraͤth in unzaͤhliche Schwie- rigkeiten, findet oft uͤberall Hinderniſſe, leidet oft da, wo’s am meiſten ſchmerzt, Schaden, verliert beſtaͤndig einen Theil ſeiner Guͤter, wird oft mismuͤthig und ſehnt ſich nach Ruhe, lernt ſich in die kleinſten Umſtaͤnde ſchi- ckea, gewoͤhnt ſich mit allen Menſchen umzugehen, wird immer unruhig wegen der Zukunft — nnd unvermerkt kommt wieder beſſre Zeit, man findet gute Menſchen, man reiſt einen ebenen Weg, man erfreut ſich der Dinge, die den Weg umgeben, man vergißt im Arm der Ruhe und der Freundſchaft das ausgeſtandene Ungemach, man gewinnt andre Menſchen lieb, und lebt mit ihnen, als wenn man ſie ſchon Jahre lang kennte, man vergißt der ſchnellen Flucht der Zeit, und meint, es waͤre gut, wenn das ganze Leben ſo dahinfloͤſſe. — Ach Philoſophie und Menſchenweisheit! wie biſt du ſo klein und duͤrftig, wenn man dich am noͤthigſten hat!
Eben mit dieſer Betrachtung beſchaͤftigt, kam ich nach 4. zuruͤckgelegten Stationen endlich gluͤcklich in Wien an, das ſich ſehr ſchoͤn *) praͤſentirt. Wahrhaftig ein
deutſches
*) Ueberhaupt wird in der Welt wohl keine Reſidenz ſeyn, die von allen Seiten einen ſo herrlichen Anblick darbietet, als Wien.
Zweiter Theil. G g
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ich nichts zu eſſen haben konnte, und auch kein Bier zu
haben war, ſchoͤnes Obſt umſonſt, und der in Moͤlk
theilte eben ſo wohlfeil ſein ſchmackhaftes Hausbackenbrod
mit mir. Groͤber aber war keiner, als der in Bur-
gersdorf.
Den 17ten April.
Reiſen iſt ein wahres Bild des menſchlichen Lebens.
Man ſtoͤßt tauſendmahl an, geraͤth in unzaͤhliche Schwie-
rigkeiten, findet oft uͤberall Hinderniſſe, leidet oft da,
wo’s am meiſten ſchmerzt, Schaden, verliert beſtaͤndig
einen Theil ſeiner Guͤter, wird oft mismuͤthig und ſehnt
ſich nach Ruhe, lernt ſich in die kleinſten Umſtaͤnde ſchi-
ckea, gewoͤhnt ſich mit allen Menſchen umzugehen, wird
immer unruhig wegen der Zukunft — nnd unvermerkt
kommt wieder beſſre Zeit, man findet gute Menſchen,
man reiſt einen ebenen Weg, man erfreut ſich der Dinge,
die den Weg umgeben, man vergißt im Arm der Ruhe
und der Freundſchaft das ausgeſtandene Ungemach, man
gewinnt andre Menſchen lieb, und lebt mit ihnen, als
wenn man ſie ſchon Jahre lang kennte, man vergißt der
ſchnellen Flucht der Zeit, und meint, es waͤre gut, wenn
das ganze Leben ſo dahinfloͤſſe. — Ach Philoſophie und
Menſchenweisheit! wie biſt du ſo klein und duͤrftig, wenn
man dich am noͤthigſten hat!
Eben mit dieſer Betrachtung beſchaͤftigt, kam ich
nach 4. zuruͤckgelegten Stationen endlich gluͤcklich in Wien
an, das ſich ſehr ſchoͤn *) praͤſentirt. Wahrhaftig ein
deutſches
*) Ueberhaupt wird in der Welt wohl keine Reſidenz
ſeyn, die von allen Seiten einen ſo herrlichen Anblick
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/503>, abgerufen am 21.11.2024.
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