Welche Empfindung mag jenes Urmenschen Herz durchzogen haben, der am Rande des frisch sprudelnden Quells ruhend zum erstenmale verwundert sein Ebenbild im Wasser erblickte -- und welch' eine Fülle von geistiger Arbeit in jahrhundertelangem Sinnen mußte aufgewendet werden, ehe die erste spiegelnde Fläche geschaffen war, welche dem eitlen Drang des Menschenherzens Genüge that?! Es war zweifellos ein gewaltiger Schritt in der kulturellen Entwicklung des Menschen- geschlechtes, der durch die Erfindung des Spiegels bezeichnet wird, -- und doch blieben die Vorstellungen von dem geheimnisvollen Etwas, das zum Sehen unbedingt notwendig ist, weit entfernt von geistiger Klarheit. Erst verhältnismäßig spät mag die Vorstellung, daß vom Auge gewissermaßen unsichtbare Fühler ausgingen, welche die gleichsam tastend empfangenen Eindrücke unserem Vorstellungsvermögen über- mitteln, in den Köpfen der alten Philosophen aufgetaucht sein, um schließlich derjenigen Anschauung Platz zu machen, welche den Vorgang des Sehens auf die Bewegung eines unsichtbaren Mediums zurück- führte. So richtig an sich die letztere Deutung war -- die An- schauung, welche man damit verband, war falsch; sollten doch von dem leuchtenden Körper nach allen Richtungen Stoffteilchen ausgesendet werden, die wie Pfeile auf unser Auge prallen und dort die Empfindung des Lichtes hervorrufen. Noch Newton verharrte trotz aller Angriffe auf dem Standpunkte dieser Emanationstheorie. Aber Kepler bereits äußerte seine Zweifel, und so trat allmählich an die Stelle dieser Ansicht die von Huyghens 1690 begründete, von Euler energisch verteidigte Undulations- oder Wellentheorie, die allerdings erst 1854 durch Foucault die rechte Sanktion erhielt und seitdem unbestrittene Geltung hat.
Nach der Undulationstheorie des Lichtes besteht dieses in Schwin- gungen des den Weltenraum stetig erfüllenden Äthers, von dessen
IX. Die optiſchen Inſtrumente.
1. Die Spiegelung des Lichtes.
Welche Empfindung mag jenes Urmenſchen Herz durchzogen haben, der am Rande des friſch ſprudelnden Quells ruhend zum erſtenmale verwundert ſein Ebenbild im Waſſer erblickte — und welch’ eine Fülle von geiſtiger Arbeit in jahrhundertelangem Sinnen mußte aufgewendet werden, ehe die erſte ſpiegelnde Fläche geſchaffen war, welche dem eitlen Drang des Menſchenherzens Genüge that?! Es war zweifellos ein gewaltiger Schritt in der kulturellen Entwicklung des Menſchen- geſchlechtes, der durch die Erfindung des Spiegels bezeichnet wird, — und doch blieben die Vorſtellungen von dem geheimnisvollen Etwas, das zum Sehen unbedingt notwendig iſt, weit entfernt von geiſtiger Klarheit. Erſt verhältnismäßig ſpät mag die Vorſtellung, daß vom Auge gewiſſermaßen unſichtbare Fühler ausgingen, welche die gleichſam taſtend empfangenen Eindrücke unſerem Vorſtellungsvermögen über- mitteln, in den Köpfen der alten Philoſophen aufgetaucht ſein, um ſchließlich derjenigen Anſchauung Platz zu machen, welche den Vorgang des Sehens auf die Bewegung eines unſichtbaren Mediums zurück- führte. So richtig an ſich die letztere Deutung war — die An- ſchauung, welche man damit verband, war falſch; ſollten doch von dem leuchtenden Körper nach allen Richtungen Stoffteilchen ausgeſendet werden, die wie Pfeile auf unſer Auge prallen und dort die Empfindung des Lichtes hervorrufen. Noch Newton verharrte trotz aller Angriffe auf dem Standpunkte dieſer Emanationstheorie. Aber Kepler bereits äußerte ſeine Zweifel, und ſo trat allmählich an die Stelle dieſer Anſicht die von Huyghens 1690 begründete, von Euler energiſch verteidigte Undulations- oder Wellentheorie, die allerdings erſt 1854 durch Foucault die rechte Sanktion erhielt und ſeitdem unbeſtrittene Geltung hat.
Nach der Undulationstheorie des Lichtes beſteht dieſes in Schwin- gungen des den Weltenraum ſtetig erfüllenden Äthers, von deſſen
<TEI><text><body><pbfacs="#f0902"n="[884]"/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">IX.</hi> Die optiſchen Inſtrumente.</hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head><hirendition="#b">1. Die Spiegelung des Lichtes.</hi></head><lb/><p>Welche Empfindung mag jenes Urmenſchen Herz durchzogen haben,<lb/>
der am Rande des friſch ſprudelnden Quells ruhend zum erſtenmale<lb/>
verwundert ſein Ebenbild im Waſſer erblickte — und welch’ eine Fülle<lb/>
von geiſtiger Arbeit in jahrhundertelangem Sinnen mußte aufgewendet<lb/>
werden, ehe die erſte ſpiegelnde Fläche geſchaffen war, welche dem<lb/>
eitlen Drang des Menſchenherzens Genüge that?! Es war zweifellos<lb/>
ein gewaltiger Schritt in der kulturellen Entwicklung des Menſchen-<lb/>
geſchlechtes, der durch die Erfindung des Spiegels bezeichnet wird, —<lb/>
und doch blieben die Vorſtellungen von dem geheimnisvollen Etwas,<lb/>
das zum Sehen unbedingt notwendig iſt, weit entfernt von geiſtiger<lb/>
Klarheit. Erſt verhältnismäßig ſpät mag die Vorſtellung, daß vom<lb/>
Auge gewiſſermaßen unſichtbare Fühler ausgingen, welche die gleichſam<lb/>
taſtend empfangenen Eindrücke unſerem Vorſtellungsvermögen über-<lb/>
mitteln, in den Köpfen der alten Philoſophen aufgetaucht ſein, um<lb/>ſchließlich derjenigen Anſchauung Platz zu machen, welche den Vorgang<lb/>
des Sehens auf die Bewegung eines unſichtbaren Mediums zurück-<lb/>
führte. So richtig an ſich die letztere Deutung war — die An-<lb/>ſchauung, welche man damit verband, war falſch; ſollten doch von<lb/>
dem leuchtenden Körper nach allen Richtungen Stoffteilchen ausgeſendet<lb/>
werden, die wie Pfeile auf unſer Auge prallen und dort die Empfindung<lb/>
des Lichtes hervorrufen. Noch Newton verharrte trotz aller Angriffe<lb/>
auf dem Standpunkte dieſer Emanationstheorie. Aber Kepler bereits<lb/>
äußerte ſeine Zweifel, und ſo trat allmählich an die Stelle dieſer<lb/>
Anſicht die von Huyghens 1690 begründete, von Euler energiſch<lb/>
verteidigte Undulations- oder Wellentheorie, die allerdings erſt 1854<lb/>
durch Foucault die rechte Sanktion erhielt und ſeitdem unbeſtrittene<lb/>
Geltung hat.</p><lb/><p>Nach der Undulationstheorie des Lichtes beſteht dieſes in Schwin-<lb/>
gungen des den Weltenraum ſtetig erfüllenden Äthers, von deſſen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[884]/0902]
IX. Die optiſchen Inſtrumente.
1. Die Spiegelung des Lichtes.
Welche Empfindung mag jenes Urmenſchen Herz durchzogen haben,
der am Rande des friſch ſprudelnden Quells ruhend zum erſtenmale
verwundert ſein Ebenbild im Waſſer erblickte — und welch’ eine Fülle
von geiſtiger Arbeit in jahrhundertelangem Sinnen mußte aufgewendet
werden, ehe die erſte ſpiegelnde Fläche geſchaffen war, welche dem
eitlen Drang des Menſchenherzens Genüge that?! Es war zweifellos
ein gewaltiger Schritt in der kulturellen Entwicklung des Menſchen-
geſchlechtes, der durch die Erfindung des Spiegels bezeichnet wird, —
und doch blieben die Vorſtellungen von dem geheimnisvollen Etwas,
das zum Sehen unbedingt notwendig iſt, weit entfernt von geiſtiger
Klarheit. Erſt verhältnismäßig ſpät mag die Vorſtellung, daß vom
Auge gewiſſermaßen unſichtbare Fühler ausgingen, welche die gleichſam
taſtend empfangenen Eindrücke unſerem Vorſtellungsvermögen über-
mitteln, in den Köpfen der alten Philoſophen aufgetaucht ſein, um
ſchließlich derjenigen Anſchauung Platz zu machen, welche den Vorgang
des Sehens auf die Bewegung eines unſichtbaren Mediums zurück-
führte. So richtig an ſich die letztere Deutung war — die An-
ſchauung, welche man damit verband, war falſch; ſollten doch von
dem leuchtenden Körper nach allen Richtungen Stoffteilchen ausgeſendet
werden, die wie Pfeile auf unſer Auge prallen und dort die Empfindung
des Lichtes hervorrufen. Noch Newton verharrte trotz aller Angriffe
auf dem Standpunkte dieſer Emanationstheorie. Aber Kepler bereits
äußerte ſeine Zweifel, und ſo trat allmählich an die Stelle dieſer
Anſicht die von Huyghens 1690 begründete, von Euler energiſch
verteidigte Undulations- oder Wellentheorie, die allerdings erſt 1854
durch Foucault die rechte Sanktion erhielt und ſeitdem unbeſtrittene
Geltung hat.
Nach der Undulationstheorie des Lichtes beſteht dieſes in Schwin-
gungen des den Weltenraum ſtetig erfüllenden Äthers, von deſſen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. [884]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/902>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.