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Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785.

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Laster und die Folgen desselben in der Welt!
Ich gerieth in eine Art von Tiefsinn und
Schwermuth, die mich unaussprechlich quaelte.
Ich entschloss mich dem schrecklichsten unter
allen Lastern gaenzlich zu entsagen; es ward
mir schwer: doch nicht unmöglich, weil es
durch meine grosse Entkraeftung schon Vieles
von seinem Reize verlohren hatte.

Nun vernehmen Sie meinen gegenwaerti-
gen Zustand; und klagen Sie mit mir über
die Unwissenheit der Menschen, die sie in so
fürchterliches Elend stürzt. Meine Geistes-
kraefte sind aufs aeusserste geschwaecht: mein
Verstand stumpf worden, und schlechterdings
nicht mehr zum zusammenhaengenden Den-
ken faehig; mein Gedaechtniss nnglaublich
schwach oder vielmehr fast ganz verlohren.
Und diess ist um so trauriger, da ich von Gott
so grosse Anlagen und Faehigkeiten erhalten
habe, dass alle meine Lehrer und Bekannten
in meiner Jugend in grosser Erwartung mei-
netwegen standen, und in mir einen zukünf-
tigen grossen Mann sehen wollten. Ich bin
also zu Geistesarbeiten ganz unfaehig; aber
eben sowohl zu körperlichen. Mein Körper
ist ganz entkraeftet und unthaetig; ich bin so

vom

Laſter und die Folgen deſſelben in der Welt!
Ich gerieth in eine Art von Tiefſinn und
Schwermuth, die mich unausſprechlich quælte.
Ich entſchloſs mich dem ſchrecklichſten unter
allen Laſtern gænzlich zu entſagen; es ward
mir ſchwer: doch nicht unmöglich, weil es
durch meine groſse Entkræftung ſchon Vieles
von ſeinem Reize verlohren hatte.

Nun vernehmen Sie meinen gegenwærti-
gen Zuſtand; und klagen Sie mit mir über
die Unwiſſenheit der Menſchen, die ſie in ſo
fürchterliches Elend ſtürzt. Meine Geiſtes-
kræfte ſind aufs æuſſerſte geſchwæcht: mein
Verſtand ſtumpf worden, und ſchlechterdings
nicht mehr zum zuſammenhængenden Den-
ken fæhig; mein Gedæchtniſs nnglaublich
ſchwach oder vielmehr faſt ganz verlohren.
Und dieſs iſt um ſo trauriger, da ich von Gott
ſo groſse Anlagen und Fæhigkeiten erhalten
habe, daſs alle meine Lehrer und Bekannten
in meiner Jugend in groſser Erwartung mei-
netwegen ſtanden, und in mir einen zukünf-
tigen groſsen Mann ſehen wollten. Ich bin
alſo zu Geiſtesarbeiten ganz unfæhig; aber
eben ſowohl zu körperlichen. Mein Körper
iſt ganz entkræftet und unthætig; ich bin ſo

vom
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[78/0088] Laſter und die Folgen deſſelben in der Welt! Ich gerieth in eine Art von Tiefſinn und Schwermuth, die mich unausſprechlich quælte. Ich entſchloſs mich dem ſchrecklichſten unter allen Laſtern gænzlich zu entſagen; es ward mir ſchwer: doch nicht unmöglich, weil es durch meine groſse Entkræftung ſchon Vieles von ſeinem Reize verlohren hatte. Nun vernehmen Sie meinen gegenwærti- gen Zuſtand; und klagen Sie mit mir über die Unwiſſenheit der Menſchen, die ſie in ſo fürchterliches Elend ſtürzt. Meine Geiſtes- kræfte ſind aufs æuſſerſte geſchwæcht: mein Verſtand ſtumpf worden, und ſchlechterdings nicht mehr zum zuſammenhængenden Den- ken fæhig; mein Gedæchtniſs nnglaublich ſchwach oder vielmehr faſt ganz verlohren. Und dieſs iſt um ſo trauriger, da ich von Gott ſo groſse Anlagen und Fæhigkeiten erhalten habe, daſs alle meine Lehrer und Bekannten in meiner Jugend in groſser Erwartung mei- netwegen ſtanden, und in mir einen zukünf- tigen groſsen Mann ſehen wollten. Ich bin alſo zu Geiſtesarbeiten ganz unfæhig; aber eben ſowohl zu körperlichen. Mein Körper iſt ganz entkræftet und unthætig; ich bin ſo vom

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Zitationshilfe: Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/88>, abgerufen am 26.04.2024.