Ich habe gefehlet, daß ich das Wort Urtheil gebraucht habe. Denn die Spra- che, für mich kommt keine Freude mehr, ist kein Urtheil, kein Ausspruch der gesun- den Vernunft, ist kein aus ruhiger Ueber- legung, aus richtiger Einsicht quillendes Ja, sondern Sprache der Empfindung, der schwar- zen, gegen alle Stralen von Hoffnung kämp- fenden Empfindung. Der erste Grund also für den Selbstmord, ich kann keine Freu- de mehr hoffen, ist kein Grund, denn er streitet wider die Natur, das heißt, wider die Veränderlichkeit der Dinge, und wi- der die Veränderlichkeit der menschlichen Empfindungen.
2.
"Das Leben ist eine Wohlthat, ein Geschenk: ich darf es al- so zurück geben, wenn es mir beschwerlich wird: wie ich ein geschenktes Haus vertauschen,
ver-
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Scheingruͤnde fuͤr den Selbſtmord.
Ich habe gefehlet, daß ich das Wort Urtheil gebraucht habe. Denn die Spra- che, fuͤr mich kommt keine Freude mehr, iſt kein Urtheil, kein Ausſpruch der geſun- den Vernunft, iſt kein aus ruhiger Ueber- legung, aus richtiger Einſicht quillendes Ja, ſondern Sprache der Empfindung, der ſchwar- zen, gegen alle Stralen von Hoffnung kaͤmp- fenden Empfindung. Der erſte Grund alſo fuͤr den Selbſtmord, ich kann keine Freu- de mehr hoffen, iſt kein Grund, denn er ſtreitet wider die Natur, das heißt, wider die Veraͤnderlichkeit der Dinge, und wi- der die Veraͤnderlichkeit der menſchlichen Empfindungen.
2.
„Das Leben iſt eine Wohlthat, ein Geſchenk: ich darf es al- ſo zuruͤck geben, wenn es mir beſchwerlich wird: wie ich ein geſchenktes Haus vertauſchen,
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Scheingruͤnde fuͤr den Selbſtmord.
Ich habe gefehlet, daß ich das Wort
Urtheil gebraucht habe. Denn die Spra-
che, fuͤr mich kommt keine Freude mehr,
iſt kein Urtheil, kein Ausſpruch der geſun-
den Vernunft, iſt kein aus ruhiger Ueber-
legung, aus richtiger Einſicht quillendes Ja,
ſondern Sprache der Empfindung, der ſchwar-
zen, gegen alle Stralen von Hoffnung kaͤmp-
fenden Empfindung. Der erſte Grund alſo
fuͤr den Selbſtmord, ich kann keine Freu-
de mehr hoffen, iſt kein Grund, denn er
ſtreitet wider die Natur, das heißt, wider
die Veraͤnderlichkeit der Dinge, und wi-
der die Veraͤnderlichkeit der menſchlichen
Empfindungen.
2.
„Das Leben iſt eine Wohlthat,
ein Geſchenk: ich darf es al-
ſo zuruͤck geben, wenn es mir
beſchwerlich wird: wie ich ein
geſchenktes Haus vertauſchen,
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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/99>, abgerufen am 16.07.2024.
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