Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.Erster Abschnitt. Letzter allzusammenfassender Grund wider den Selbstmord. Der Selbstmord ist nach allen Bezie- 1. in Beziehung auf Gott ist er Undank gegen den ersten Wohlthäter. So oft ließ Er seine Sonne über mir aufgehen, und ich spräche voll Unmuths: nun will ich seine Sonne nimmer sehen? So oft ließ er mich die Süsse des Schla- fes geniessen, und die labende Kraft der frischen Quelle erfah- ren, und ich spräche voll Ueber- druß: Dieser seiner Wohlthaten bin (i) Fasse mich recht, lieber Leser: ich sage nicht,
daß der Selbstmörder alle diese Beziehungen im Augenblicke der Selbstmordung vor Augen habe: denn so ein Ebenteuer von Greuelthä- ter ist nicht gedenkbar, der alle diese Beweg- gründe, nicht zu sündigen hell anblickte, und dennoch Erſter Abſchnitt. Letzter allzuſammenfaſſender Grund wider den Selbſtmord. Der Selbſtmord iſt nach allen Bezie- 1. in Beziehung auf Gott iſt er Undank gegen den erſten Wohlthaͤter. So oft ließ Er ſeine Sonne uͤber mir aufgehen, und ich ſpraͤche voll Unmuths: nun will ich ſeine Sonne nimmer ſehen? So oft ließ er mich die Suͤſſe des Schla- fes genieſſen, und die labende Kraft der friſchen Quelle erfah- ren, und ich ſpraͤche voll Ueber- druß: Dieſer ſeiner Wohlthaten bin (i) Faſſe mich recht, lieber Leſer: ich ſage nicht,
daß der Selbſtmoͤrder alle dieſe Beziehungen im Augenblicke der Selbſtmordung vor Augen habe: denn ſo ein Ebenteuer von Greuelthaͤ- ter iſt nicht gedenkbar, der alle dieſe Beweg- gruͤnde, nicht zu ſuͤndigen hell anblickte, und dennoch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0076" n="64"/> <fw place="top" type="header">Erſter Abſchnitt.</fw><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Letzter<lb/> allzuſammenfaſſender Grund<lb/> wider den Selbſtmord.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">D</hi>er <hi rendition="#fr">Selbſtmord</hi> iſt nach allen Bezie-<lb/> hungen <note xml:id="seg2pn_4_1" next="#seg2pn_4_2" place="foot" n="(i)">Faſſe mich recht, lieber Leſer: ich ſage nicht,<lb/> daß der Selbſtmoͤrder alle dieſe Beziehungen<lb/> im Augenblicke der Selbſtmordung vor Augen<lb/> habe: denn ſo ein Ebenteuer von Greuelthaͤ-<lb/> ter iſt nicht gedenkbar, der alle dieſe Beweg-<lb/> gruͤnde, nicht zu ſuͤndigen hell anblickte, und<lb/> <fw place="bottom" type="catch">dennoch</fw></note> betrachtet, ein Inbe-<lb/> grif von allem, was grauvoll heiſſen<lb/> kann. Denn</p><lb/> <list> <item>1. in Beziehung auf Gott iſt er<lb/><list><item><hi rendition="#fr">Undank</hi> gegen den erſten Wohlthaͤter.<lb/> So oft ließ Er ſeine Sonne uͤber<lb/> mir aufgehen, und ich ſpraͤche<lb/> voll Unmuths: nun will ich ſeine<lb/> Sonne nimmer ſehen? So oft<lb/> ließ er mich die Suͤſſe des Schla-<lb/> fes genieſſen, und die labende<lb/> Kraft der friſchen Quelle erfah-<lb/> ren, und ich ſpraͤche voll Ueber-<lb/> druß: Dieſer ſeiner Wohlthaten<lb/> <fw place="bottom" type="catch">bin</fw><lb/></item></list></item> </list> </div> </div> </body> </text> </TEI> [64/0076]
Erſter Abſchnitt.
Letzter
allzuſammenfaſſender Grund
wider den Selbſtmord.
Der Selbſtmord iſt nach allen Bezie-
hungen (i) betrachtet, ein Inbe-
grif von allem, was grauvoll heiſſen
kann. Denn
1. in Beziehung auf Gott iſt er
Undank gegen den erſten Wohlthaͤter.
So oft ließ Er ſeine Sonne uͤber
mir aufgehen, und ich ſpraͤche
voll Unmuths: nun will ich ſeine
Sonne nimmer ſehen? So oft
ließ er mich die Suͤſſe des Schla-
fes genieſſen, und die labende
Kraft der friſchen Quelle erfah-
ren, und ich ſpraͤche voll Ueber-
druß: Dieſer ſeiner Wohlthaten
bin
(i) Faſſe mich recht, lieber Leſer: ich ſage nicht,
daß der Selbſtmoͤrder alle dieſe Beziehungen
im Augenblicke der Selbſtmordung vor Augen
habe: denn ſo ein Ebenteuer von Greuelthaͤ-
ter iſt nicht gedenkbar, der alle dieſe Beweg-
gruͤnde, nicht zu ſuͤndigen hell anblickte, und
dennoch
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