"Da Gott bey seiner Vorsehung und Regierung das menschliche Leben so unzählich vielen, oft aus den kleinsten und zufälligsten Ursachen entstehenden Gefahren überlassen: sollte er's nicht auch, und vielmehr noch, der eignen Willkühr des Men- schen überlassen haben? Und wenn aus jenen erhellet, daß der Plan der göttlichen Herrschaft, und Regie- rung nicht von Verlängerung einze- ler Menschenleben abhänge, wie kann die willkührliche Abkürzung des eigenen Lebens ein Verbrechen gegen die Gottheit seyn?(n)
Dieser Grund sagt nicht mehr und nicht weniger als: diesen erschlägt ein Dachziegel, jenen der Donner: da stirbt einer am tollen Hundsbisse, dort ein anderer an den Blat- tern. Soll nun sich der Mensch das nicht selbst anthun dürfen, was Hundsbisse, Blat-
tern,
(n) Dieser Einwurf kommt in den Aussätzen über Selbstmord, und Unsterblichkeit vor, die dem David Hume zugeschrieben werden.
Zweyter Abſchnitt.
4.
„Da Gott bey ſeiner Vorſehung und Regierung das menſchliche Leben ſo unzaͤhlich vielen, oft aus den kleinſten und zufaͤlligſten Urſachen entſtehenden Gefahren uͤberlaſſen: ſollte er’s nicht auch, und vielmehr noch, der eignen Willkuͤhr des Men- ſchen uͤberlaſſen haben? Und wenn aus jenen erhellet, daß der Plan der goͤttlichen Herrſchaft, und Regie- rung nicht von Verlaͤngerung einze- ler Menſchenleben abhaͤnge, wie kann die willkuͤhrliche Abkuͤrzung des eigenen Lebens ein Verbrechen gegen die Gottheit ſeyn?(n)
Dieſer Grund ſagt nicht mehr und nicht weniger als: dieſen erſchlaͤgt ein Dachziegel, jenen der Donner: da ſtirbt einer am tollen Hundsbiſſe, dort ein anderer an den Blat- tern. Soll nun ſich der Menſch das nicht ſelbſt anthun duͤrfen, was Hundsbiſſe, Blat-
tern,
(n) Dieſer Einwurf kommt in den Auſſaͤtzen uͤber Selbſtmord, und Unſterblichkeit vor, die dem David Hume zugeſchrieben werden.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0108"n="96"/><fwplace="top"type="header">Zweyter Abſchnitt.</fw><lb/><divn="2"><head>4.</head><lb/><p><hirendition="#fr">„<hirendition="#in">D</hi>a Gott bey ſeiner Vorſehung<lb/>
und Regierung das menſchliche<lb/>
Leben ſo unzaͤhlich vielen, oft aus den<lb/>
kleinſten und zufaͤlligſten Urſachen<lb/>
entſtehenden Gefahren uͤberlaſſen:<lb/>ſollte er’s nicht auch, und vielmehr<lb/>
noch, der eignen Willkuͤhr des Men-<lb/>ſchen uͤberlaſſen haben? Und wenn<lb/>
aus jenen erhellet, daß der Plan der<lb/>
goͤttlichen Herrſchaft, und Regie-<lb/>
rung nicht von Verlaͤngerung einze-<lb/>
ler Menſchenleben abhaͤnge, wie<lb/>
kann die willkuͤhrliche Abkuͤrzung<lb/>
des eigenen Lebens ein Verbrechen<lb/>
gegen die Gottheit ſeyn?</hi><notexml:id="seg2pn_6_1"next="#seg2pn_6_2"place="foot"n="(n)">Dieſer Einwurf kommt in den Auſſaͤtzen<lb/>
uͤber Selbſtmord, und Unſterblichkeit vor, die<lb/>
dem David Hume zugeſchrieben werden.</note></p><lb/><p>Dieſer Grund ſagt nicht mehr und nicht<lb/>
weniger als: dieſen erſchlaͤgt ein Dachziegel,<lb/>
jenen der Donner: da ſtirbt einer am tollen<lb/>
Hundsbiſſe, dort ein anderer an den Blat-<lb/>
tern. Soll nun ſich der Menſch das nicht<lb/>ſelbſt anthun duͤrfen, was Hundsbiſſe, Blat-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">tern,</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[96/0108]
Zweyter Abſchnitt.
4.
„Da Gott bey ſeiner Vorſehung
und Regierung das menſchliche
Leben ſo unzaͤhlich vielen, oft aus den
kleinſten und zufaͤlligſten Urſachen
entſtehenden Gefahren uͤberlaſſen:
ſollte er’s nicht auch, und vielmehr
noch, der eignen Willkuͤhr des Men-
ſchen uͤberlaſſen haben? Und wenn
aus jenen erhellet, daß der Plan der
goͤttlichen Herrſchaft, und Regie-
rung nicht von Verlaͤngerung einze-
ler Menſchenleben abhaͤnge, wie
kann die willkuͤhrliche Abkuͤrzung
des eigenen Lebens ein Verbrechen
gegen die Gottheit ſeyn? (n)
Dieſer Grund ſagt nicht mehr und nicht
weniger als: dieſen erſchlaͤgt ein Dachziegel,
jenen der Donner: da ſtirbt einer am tollen
Hundsbiſſe, dort ein anderer an den Blat-
tern. Soll nun ſich der Menſch das nicht
ſelbſt anthun duͤrfen, was Hundsbiſſe, Blat-
tern,
(n) Dieſer Einwurf kommt in den Auſſaͤtzen
uͤber Selbſtmord, und Unſterblichkeit vor, die
dem David Hume zugeſchrieben werden.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/108>, abgerufen am 24.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.