Viertes Capitel. Die Morphologie unter dem Einfluß der Metamorphosenlehre und der Spriraltheorie. 1790-1850.
Waren Jussieu, De Candolle und Robert Brown bemüht, durch Vergleichung verschiedener Pflanzenspecies die ver- wandtschaftlichen Beziehungen derselben aufzudecken, so stellte sich dagegen die von Goethe begründete Metamorphosenlehre von vorneherein die Aufgabe, die innere Verwandtschaft verschiedener Organe eines und desselben Pflanzenindividuums zur Anschauung zu bringen. Wie De Candolle's Lehre von der Symmetrie die verschiedenen Pflanzenarten aus einem idealen Symmetrieplan oder Typus ableitete, so nahm die Metamorphosenlehre ein ideales Grundorgan an, aus welchem die verschiedenen Formen der Blattgebilde einer Pflanze sich ableiten lassen. Der Stengel kam nur nebenbei als Träger der Blattgebilde, die Wurzel fast gar nicht in Betracht. Wie nun die Aehnlichkeit nahe verwandter Pflanzenarten dem unbefangenen Beobachter sich ungesucht und von selbst darbietet, so auch die Verwandtschaft verschiedener Organe von blattartiger Natur bei einer und derselben Pflanze. Schon Caesalpin hatte die Blumenkrone kurzweg als folium (Blatt) bezeichnet; er und Malpighi betrachteten auch die Cotyledonen als Blätter; ebenso hatte Jungius auf die Ver- schiedenheit der Blattformen, die bei manchen Pflanzen an Einem Stengel in verschiedener Höhe sich finden, hingewiesen; Caspar Friedrich Wolff, der zuerst in dieser Richtung methodisch
Viertes Capitel. Die Morphologie unter dem Einfluß der Metamorphoſenlehre und der Spriraltheorie. 1790-1850.
Waren Juſſieu, De Candolle und Robert Brown bemüht, durch Vergleichung verſchiedener Pflanzenſpecies die ver- wandtſchaftlichen Beziehungen derſelben aufzudecken, ſo ſtellte ſich dagegen die von Goethe begründete Metamorphoſenlehre von vorneherein die Aufgabe, die innere Verwandtſchaft verſchiedener Organe eines und desſelben Pflanzenindividuums zur Anſchauung zu bringen. Wie De Candolle's Lehre von der Symmetrie die verſchiedenen Pflanzenarten aus einem idealen Symmetrieplan oder Typus ableitete, ſo nahm die Metamorphoſenlehre ein ideales Grundorgan an, aus welchem die verſchiedenen Formen der Blattgebilde einer Pflanze ſich ableiten laſſen. Der Stengel kam nur nebenbei als Träger der Blattgebilde, die Wurzel faſt gar nicht in Betracht. Wie nun die Aehnlichkeit nahe verwandter Pflanzenarten dem unbefangenen Beobachter ſich ungeſucht und von ſelbſt darbietet, ſo auch die Verwandtſchaft verſchiedener Organe von blattartiger Natur bei einer und derſelben Pflanze. Schon Caeſalpin hatte die Blumenkrone kurzweg als folium (Blatt) bezeichnet; er und Malpighi betrachteten auch die Cotyledonen als Blätter; ebenſo hatte Jungius auf die Ver- ſchiedenheit der Blattformen, die bei manchen Pflanzen an Einem Stengel in verſchiedener Höhe ſich finden, hingewieſen; Caspar Friedrich Wolff, der zuerſt in dieſer Richtung methodiſch
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Viertes Capitel.
Die Morphologie unter dem Einfluß der Metamorphoſenlehre
und der Spriraltheorie.
1790-1850.
Waren Juſſieu, De Candolle und Robert Brown
bemüht, durch Vergleichung verſchiedener Pflanzenſpecies die ver-
wandtſchaftlichen Beziehungen derſelben aufzudecken, ſo ſtellte ſich
dagegen die von Goethe begründete Metamorphoſenlehre von
vorneherein die Aufgabe, die innere Verwandtſchaft verſchiedener
Organe eines und desſelben Pflanzenindividuums zur Anſchauung
zu bringen. Wie De Candolle's Lehre von der Symmetrie
die verſchiedenen Pflanzenarten aus einem idealen Symmetrieplan
oder Typus ableitete, ſo nahm die Metamorphoſenlehre ein ideales
Grundorgan an, aus welchem die verſchiedenen Formen der
Blattgebilde einer Pflanze ſich ableiten laſſen. Der Stengel
kam nur nebenbei als Träger der Blattgebilde, die Wurzel faſt
gar nicht in Betracht. Wie nun die Aehnlichkeit nahe verwandter
Pflanzenarten dem unbefangenen Beobachter ſich ungeſucht und
von ſelbſt darbietet, ſo auch die Verwandtſchaft verſchiedener
Organe von blattartiger Natur bei einer und derſelben Pflanze.
Schon Caeſalpin hatte die Blumenkrone kurzweg als folium
(Blatt) bezeichnet; er und Malpighi betrachteten auch die
Cotyledonen als Blätter; ebenſo hatte Jungius auf die Ver-
ſchiedenheit der Blattformen, die bei manchen Pflanzen an Einem
Stengel in verſchiedener Höhe ſich finden, hingewieſen; Caspar
Friedrich Wolff, der zuerſt in dieſer Richtung methodiſch
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. [167]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/179>, abgerufen am 22.12.2024.
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