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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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Bey den Römern hingegen waren praktische Zwecke, oftmals
sehr verwickelter Art, die eigentliche Aufgabe der Baukunst,
entstand die Schönheit, wenn überhaupt, theils aus der Groß-
artigkeit der Anlage, dem robusten Ansehn der Ausführung,
theils (und darin eben nur stehet die römische Architectur
gegen die griechische im Nachtheil) aus Verzierungen, welche,
aus ihrer ursprünglichen Verbindung gerissen, nicht immer
ohne Zwang neuen Eintheilungen und Constructionsweisen
angepaßt wurden. Unbefangene werden indeß selbst in dieser
letzten Beziehung den Römern zugeben müssen, daß sie in ih-
ren Theatern und Amphitheatern, in ihren Palästen, Villen
und Bädern, die Säule bald als ein bedingt verstärkendes,
bald als ein bloß bezeichnendes und verzierendes Glied der
Construction, mit Feinheit unterzuordnen gewußt. Und wenn
sie dabey nicht immer ängstlich auf das Herkommen der
Maße und Eintheilungen Rücksicht genommen, so wissen wir
nunmehr, daß solches auch bey den Griechen beweglicher war,
als die Theorie zu gestatten pflegt, so werden wir mehr und
und mehr einsehen lernen, daß in Bezug auf Schönheit keine
Linie, keine Form, kein Verhältniß in einer neuen Verbin-
dung noch ganz dieselben sind. Durch vermehrte Aufmerk-
samkeit auf die Denkmale des griechischen Alterthumes ward
unstreitig der Geschmack moderner Architecten, was Verhält-
nisse, was linearischen, was gerundeten Schmuck angeht, ganz
ungemein verfeinert und zugeschliffen. Doch wie gefährlich
es sey, das römische Alterthum, welches zu den Bedürfnissen
und Anforderungen unserer Tage den Uebergang bildet, unter
solchen Studien ganz zu verachten und zu vernachlässigen, zeigt
das Beyspiel der modernen englischen Baukunst.

Also war das Eigenthümlichste, das meist Durchgebildete

III. 11

Bey den Roͤmern hingegen waren praktiſche Zwecke, oftmals
ſehr verwickelter Art, die eigentliche Aufgabe der Baukunſt,
entſtand die Schoͤnheit, wenn uͤberhaupt, theils aus der Groß-
artigkeit der Anlage, dem robuſten Anſehn der Ausfuͤhrung,
theils (und darin eben nur ſtehet die roͤmiſche Architectur
gegen die griechiſche im Nachtheil) aus Verzierungen, welche,
aus ihrer urſpruͤnglichen Verbindung geriſſen, nicht immer
ohne Zwang neuen Eintheilungen und Conſtructionsweiſen
angepaßt wurden. Unbefangene werden indeß ſelbſt in dieſer
letzten Beziehung den Roͤmern zugeben muͤſſen, daß ſie in ih-
ren Theatern und Amphitheatern, in ihren Palaͤſten, Villen
und Baͤdern, die Saͤule bald als ein bedingt verſtaͤrkendes,
bald als ein bloß bezeichnendes und verzierendes Glied der
Conſtruction, mit Feinheit unterzuordnen gewußt. Und wenn
ſie dabey nicht immer aͤngſtlich auf das Herkommen der
Maße und Eintheilungen Ruͤckſicht genommen, ſo wiſſen wir
nunmehr, daß ſolches auch bey den Griechen beweglicher war,
als die Theorie zu geſtatten pflegt, ſo werden wir mehr und
und mehr einſehen lernen, daß in Bezug auf Schoͤnheit keine
Linie, keine Form, kein Verhaͤltniß in einer neuen Verbin-
dung noch ganz dieſelben ſind. Durch vermehrte Aufmerk-
ſamkeit auf die Denkmale des griechiſchen Alterthumes ward
unſtreitig der Geſchmack moderner Architecten, was Verhaͤlt-
niſſe, was lineariſchen, was gerundeten Schmuck angeht, ganz
ungemein verfeinert und zugeſchliffen. Doch wie gefaͤhrlich
es ſey, das roͤmiſche Alterthum, welches zu den Beduͤrfniſſen
und Anforderungen unſerer Tage den Uebergang bildet, unter
ſolchen Studien ganz zu verachten und zu vernachlaͤſſigen, zeigt
das Beyſpiel der modernen engliſchen Baukunſt.

Alſo war das Eigenthuͤmlichſte, das meiſt Durchgebildete

III. 11
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[161/0183] Bey den Roͤmern hingegen waren praktiſche Zwecke, oftmals ſehr verwickelter Art, die eigentliche Aufgabe der Baukunſt, entſtand die Schoͤnheit, wenn uͤberhaupt, theils aus der Groß- artigkeit der Anlage, dem robuſten Anſehn der Ausfuͤhrung, theils (und darin eben nur ſtehet die roͤmiſche Architectur gegen die griechiſche im Nachtheil) aus Verzierungen, welche, aus ihrer urſpruͤnglichen Verbindung geriſſen, nicht immer ohne Zwang neuen Eintheilungen und Conſtructionsweiſen angepaßt wurden. Unbefangene werden indeß ſelbſt in dieſer letzten Beziehung den Roͤmern zugeben muͤſſen, daß ſie in ih- ren Theatern und Amphitheatern, in ihren Palaͤſten, Villen und Baͤdern, die Saͤule bald als ein bedingt verſtaͤrkendes, bald als ein bloß bezeichnendes und verzierendes Glied der Conſtruction, mit Feinheit unterzuordnen gewußt. Und wenn ſie dabey nicht immer aͤngſtlich auf das Herkommen der Maße und Eintheilungen Ruͤckſicht genommen, ſo wiſſen wir nunmehr, daß ſolches auch bey den Griechen beweglicher war, als die Theorie zu geſtatten pflegt, ſo werden wir mehr und und mehr einſehen lernen, daß in Bezug auf Schoͤnheit keine Linie, keine Form, kein Verhaͤltniß in einer neuen Verbin- dung noch ganz dieſelben ſind. Durch vermehrte Aufmerk- ſamkeit auf die Denkmale des griechiſchen Alterthumes ward unſtreitig der Geſchmack moderner Architecten, was Verhaͤlt- niſſe, was lineariſchen, was gerundeten Schmuck angeht, ganz ungemein verfeinert und zugeſchliffen. Doch wie gefaͤhrlich es ſey, das roͤmiſche Alterthum, welches zu den Beduͤrfniſſen und Anforderungen unſerer Tage den Uebergang bildet, unter ſolchen Studien ganz zu verachten und zu vernachlaͤſſigen, zeigt das Beyſpiel der modernen engliſchen Baukunſt. Alſo war das Eigenthuͤmlichſte, das meiſt Durchgebildete III. 11

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/183>, abgerufen am 26.04.2024.