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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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kommenheit. Um Vieles später war Tizian noch immer in
dem glatten, buntleuchtenden Schmelze der älteren Manier
seiner Schule befangen, auch in der Malerey a fresco, als
er in einer Brüderschaftskappelle am Platze des heil. Anton
zu Padua verschiedene Bilder malte, seine Arbeit, gegen die
Messe von Bolsena gehalten, höchst schülerhaft. Er selbst
freylich kam zu spät nach Rom, als daß man annehmen
könnte, er verdanke der unmittelbaren Anschauung dieses Wer-
kes die Anregung oder Entwickelung ihm eigenthümlicher Ab-
sichten. Indeß scheint Giorgione, wenn das Urtheil Salo-
mons in der Gallerie des Grafen Mareschalchi zu Bologna
seine Arbeit ist, wie man sagt, und ich für möglich halte,
Rom früh besucht zu haben, was die Vermuthung, daß er
von dort aus die neue Manier nach Venedig gebracht, wenn
auch nicht begründet, doch zuläßt. Unter allen Umständen
war Rom seit des Michelangelo, seit Raphaels Ankunft in
dem Maaße der Mittelpunct damaliger Kunstbestrebungen, daß
nichts unwahrscheinlicher seyn dürfte, als zu Venedig eine
gänzliche Unkunde dessen anzunehmen, was in Rom geschehen
war und noch täglich geschah. Genug also, daß die Messe
von Bolsena um sieben bis zehn Jahre der vollen technischen
Entwickelung der venezianischen Schule vorangeht.

In gleichem Sinne, doch schon um etwas lässiger, hat
Raphael die Bildnißgruppe in dem anstoßenden Halbrunde
des Heliodor behandelt. Sie prangt noch immer in aller
Kraft und Frische ihrer ursprünglichen Färbung, während die
erschreckten Weiber in dem Volkshaufen des Mittelgrundes
unter den Händen ihrer Bewunderer allmählich erblichen sind.
Mehr hat man das Volk in der Messe von Bolsena geschont,
obwohl die weiblichen Formen, da sie ebenfalls leicht und

kommenheit. Um Vieles ſpaͤter war Tizian noch immer in
dem glatten, buntleuchtenden Schmelze der aͤlteren Manier
ſeiner Schule befangen, auch in der Malerey a fresco, als
er in einer Bruͤderſchaftskappelle am Platze des heil. Anton
zu Padua verſchiedene Bilder malte, ſeine Arbeit, gegen die
Meſſe von Bolſena gehalten, hoͤchſt ſchuͤlerhaft. Er ſelbſt
freylich kam zu ſpaͤt nach Rom, als daß man annehmen
koͤnnte, er verdanke der unmittelbaren Anſchauung dieſes Wer-
kes die Anregung oder Entwickelung ihm eigenthuͤmlicher Ab-
ſichten. Indeß ſcheint Giorgione, wenn das Urtheil Salo-
mons in der Gallerie des Grafen Mareschalchi zu Bologna
ſeine Arbeit iſt, wie man ſagt, und ich fuͤr moͤglich halte,
Rom fruͤh beſucht zu haben, was die Vermuthung, daß er
von dort aus die neue Manier nach Venedig gebracht, wenn
auch nicht begruͤndet, doch zulaͤßt. Unter allen Umſtaͤnden
war Rom ſeit des Michelangelo, ſeit Raphaels Ankunft in
dem Maaße der Mittelpunct damaliger Kunſtbeſtrebungen, daß
nichts unwahrſcheinlicher ſeyn duͤrfte, als zu Venedig eine
gaͤnzliche Unkunde deſſen anzunehmen, was in Rom geſchehen
war und noch taͤglich geſchah. Genug alſo, daß die Meſſe
von Bolſena um ſieben bis zehn Jahre der vollen techniſchen
Entwickelung der venezianiſchen Schule vorangeht.

In gleichem Sinne, doch ſchon um etwas laͤſſiger, hat
Raphael die Bildnißgruppe in dem anſtoßenden Halbrunde
des Heliodor behandelt. Sie prangt noch immer in aller
Kraft und Friſche ihrer urſpruͤnglichen Faͤrbung, waͤhrend die
erſchreckten Weiber in dem Volkshaufen des Mittelgrundes
unter den Haͤnden ihrer Bewunderer allmaͤhlich erblichen ſind.
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obwohl die weiblichen Formen, da ſie ebenfalls leicht und

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[104/0126] kommenheit. Um Vieles ſpaͤter war Tizian noch immer in dem glatten, buntleuchtenden Schmelze der aͤlteren Manier ſeiner Schule befangen, auch in der Malerey a fresco, als er in einer Bruͤderſchaftskappelle am Platze des heil. Anton zu Padua verſchiedene Bilder malte, ſeine Arbeit, gegen die Meſſe von Bolſena gehalten, hoͤchſt ſchuͤlerhaft. Er ſelbſt freylich kam zu ſpaͤt nach Rom, als daß man annehmen koͤnnte, er verdanke der unmittelbaren Anſchauung dieſes Wer- kes die Anregung oder Entwickelung ihm eigenthuͤmlicher Ab- ſichten. Indeß ſcheint Giorgione, wenn das Urtheil Salo- mons in der Gallerie des Grafen Mareschalchi zu Bologna ſeine Arbeit iſt, wie man ſagt, und ich fuͤr moͤglich halte, Rom fruͤh beſucht zu haben, was die Vermuthung, daß er von dort aus die neue Manier nach Venedig gebracht, wenn auch nicht begruͤndet, doch zulaͤßt. Unter allen Umſtaͤnden war Rom ſeit des Michelangelo, ſeit Raphaels Ankunft in dem Maaße der Mittelpunct damaliger Kunſtbeſtrebungen, daß nichts unwahrſcheinlicher ſeyn duͤrfte, als zu Venedig eine gaͤnzliche Unkunde deſſen anzunehmen, was in Rom geſchehen war und noch taͤglich geſchah. Genug alſo, daß die Meſſe von Bolſena um ſieben bis zehn Jahre der vollen techniſchen Entwickelung der venezianiſchen Schule vorangeht. In gleichem Sinne, doch ſchon um etwas laͤſſiger, hat Raphael die Bildnißgruppe in dem anſtoßenden Halbrunde des Heliodor behandelt. Sie prangt noch immer in aller Kraft und Friſche ihrer urſpruͤnglichen Faͤrbung, waͤhrend die erſchreckten Weiber in dem Volkshaufen des Mittelgrundes unter den Haͤnden ihrer Bewunderer allmaͤhlich erblichen ſind. Mehr hat man das Volk in der Meſſe von Bolſena geſchont, obwohl die weiblichen Formen, da ſie ebenfalls leicht und

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/126>, abgerufen am 27.04.2024.