Georg Vasari berichtet uns, daß Raphael, als Knabe, unter der Leitung seines Vaters, Giovanni Sanzio, in der Malerkunst den ersten Grund gelegt habe, aus dessen Schule sodann in die blühendere, berühmtere des Peter von Perugia gelangt sey. Diese Angabe stimmt zu den Sitten und Ver- hältnissen jener Zeit. Denn wer dazumal der Kunst sich zuwen- dete, ward schon als Knabe in die Lehre gegeben, damit er, was zum Handwerke gehört, erlerne, ehe das erwachende Selbstgefühl, das steigende Bewußtseyn ungewöhnlicher Na- turgaben gegen niedrige und trockene Beschäftigungen verderb- liche Unlust erwecke.
Seitdem, besonders durch Lanzi, auch für dasjenige Schöne und Liebenswerthe, welches ältere Kunstformen so häufig in sich einschließen, die Empfänglichkeit geweckt wor- den, hat man nach Arbeiten des Giovanni Sanzio sich um- gesehn, auch zu wissen begehrt, wie Raphael in frühester Ju- gend wohl sich angelassen habe.
In Urbino werden verschiedene Stücke dem Vater bey- gemessen, welche Herr Johann Metzger, der bekannte floren- tinische Kenner, mir, dem jener Ort stets unzugänglich geblie- ben, als anmuthsvoll und anziehend beschreibt. Das eine, Maria mit dem Kinde, von einer Mauer in Sanzio's Hause
Georg Vaſari berichtet uns, daß Raphael, als Knabe, unter der Leitung ſeines Vaters, Giovanni Sanzio, in der Malerkunſt den erſten Grund gelegt habe, aus deſſen Schule ſodann in die bluͤhendere, beruͤhmtere des Peter von Perugia gelangt ſey. Dieſe Angabe ſtimmt zu den Sitten und Ver- haͤltniſſen jener Zeit. Denn wer dazumal der Kunſt ſich zuwen- dete, ward ſchon als Knabe in die Lehre gegeben, damit er, was zum Handwerke gehoͤrt, erlerne, ehe das erwachende Selbſtgefuͤhl, das ſteigende Bewußtſeyn ungewoͤhnlicher Na- turgaben gegen niedrige und trockene Beſchaͤftigungen verderb- liche Unluſt erwecke.
Seitdem, beſonders durch Lanzi, auch fuͤr dasjenige Schoͤne und Liebenswerthe, welches aͤltere Kunſtformen ſo haͤufig in ſich einſchließen, die Empfaͤnglichkeit geweckt wor- den, hat man nach Arbeiten des Giovanni Sanzio ſich um- geſehn, auch zu wiſſen begehrt, wie Raphael in fruͤheſter Ju- gend wohl ſich angelaſſen habe.
In Urbino werden verſchiedene Stuͤcke dem Vater bey- gemeſſen, welche Herr Johann Metzger, der bekannte floren- tiniſche Kenner, mir, dem jener Ort ſtets unzugaͤnglich geblie- ben, als anmuthsvoll und anziehend beſchreibt. Das eine, Maria mit dem Kinde, von einer Mauer in Sanzio’s Hauſe
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[22/0044]
II.
Raphaels Jugendwerke.
Georg Vaſari berichtet uns, daß Raphael, als Knabe,
unter der Leitung ſeines Vaters, Giovanni Sanzio, in der
Malerkunſt den erſten Grund gelegt habe, aus deſſen Schule
ſodann in die bluͤhendere, beruͤhmtere des Peter von Perugia
gelangt ſey. Dieſe Angabe ſtimmt zu den Sitten und Ver-
haͤltniſſen jener Zeit. Denn wer dazumal der Kunſt ſich zuwen-
dete, ward ſchon als Knabe in die Lehre gegeben, damit er,
was zum Handwerke gehoͤrt, erlerne, ehe das erwachende
Selbſtgefuͤhl, das ſteigende Bewußtſeyn ungewoͤhnlicher Na-
turgaben gegen niedrige und trockene Beſchaͤftigungen verderb-
liche Unluſt erwecke.
Seitdem, beſonders durch Lanzi, auch fuͤr dasjenige
Schoͤne und Liebenswerthe, welches aͤltere Kunſtformen ſo
haͤufig in ſich einſchließen, die Empfaͤnglichkeit geweckt wor-
den, hat man nach Arbeiten des Giovanni Sanzio ſich um-
geſehn, auch zu wiſſen begehrt, wie Raphael in fruͤheſter Ju-
gend wohl ſich angelaſſen habe.
In Urbino werden verſchiedene Stuͤcke dem Vater bey-
gemeſſen, welche Herr Johann Metzger, der bekannte floren-
tiniſche Kenner, mir, dem jener Ort ſtets unzugaͤnglich geblie-
ben, als anmuthsvoll und anziehend beſchreibt. Das eine,
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/44>, abgerufen am 01.03.2025.
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