Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

vor einem zierlichen gothischen Bau; es dürfte die Trauung
Josephs und der Jungfrau darstellen.

Alle diese Gemälde zeigen eine Weichheit der Behand-
lung, eine Ausbildung der Form, welche kein anderer Künst-
ler derselben Zeit jemals erreicht hat; weßhalb zu verwundern
ist, daß Giovanni bisher von alten und neueren Schriftstellern
unter die abhängigen und untergeordneten Meister gestellt wor-
den, da ihm doch der Ruhm gebührt, seiner Zeit vorangeeilt
zu seyn. -- Wie viel häufiger würde von ihm die Rede seyn,
hätte Vasari so viel von ihm gewußt, als er bedurfte, um
eine Lebensbeschreibung zu machen.

Wenn Gegenwart und Nachwelt den Verdiensten des
Giovanni da Milano bis jetzt nicht ganz die Anerkennung
gewährte, welche sie fodern; so ward dahingegen die Ueberle-
genheit des Malers, Bildners und Architecten Arcagnuolo von
jeher verehrt und gepriesen, weßhalb ich seine noch vorhande-
nen Werke als bekannt voraussetzen und hier nur flüchtig be-
rühren will. Die großen, schönen, in die Augen fallenden
Bauwerke dieses Künstlers, die, loggia de' Lanzi, die Kirche
und das Magazin Orsanmichele, haben, wie es scheint, sein
Andenken zu allen Zeiten wach gehalten. Das reiche Taber-
nakel der Jungfrau in Orto san Michele, die schöne Tafel
eines Seitenaltares der Kirche sta Maria novella, sind beide
mit dem Namen des Kunstlers und dem Jahre der Vollen-
dung bezeichnet, befinden sich zudem an besuchten und zu-
gänglichen Orten, so daß auf alle Weise für die ununterbro-
chene Fortpflanzung seines Ruhmes gesorgt war. Dieser An-
erkennung ungeachtet war man nur selten darauf bedacht, seine

vor einem zierlichen gothiſchen Bau; es duͤrfte die Trauung
Joſephs und der Jungfrau darſtellen.

Alle dieſe Gemaͤlde zeigen eine Weichheit der Behand-
lung, eine Ausbildung der Form, welche kein anderer Kuͤnſt-
ler derſelben Zeit jemals erreicht hat; weßhalb zu verwundern
iſt, daß Giovanni bisher von alten und neueren Schriftſtellern
unter die abhaͤngigen und untergeordneten Meiſter geſtellt wor-
den, da ihm doch der Ruhm gebuͤhrt, ſeiner Zeit vorangeeilt
zu ſeyn. — Wie viel haͤufiger wuͤrde von ihm die Rede ſeyn,
haͤtte Vaſari ſo viel von ihm gewußt, als er bedurfte, um
eine Lebensbeſchreibung zu machen.

Wenn Gegenwart und Nachwelt den Verdienſten des
Giovanni da Milano bis jetzt nicht ganz die Anerkennung
gewaͤhrte, welche ſie fodern; ſo ward dahingegen die Ueberle-
genheit des Malers, Bildners und Architecten Arcagnuolo von
jeher verehrt und geprieſen, weßhalb ich ſeine noch vorhande-
nen Werke als bekannt vorausſetzen und hier nur fluͤchtig be-
ruͤhren will. Die großen, ſchoͤnen, in die Augen fallenden
Bauwerke dieſes Kuͤnſtlers, die, loggia de’ Lanzi, die Kirche
und das Magazin Orſanmichele, haben, wie es ſcheint, ſein
Andenken zu allen Zeiten wach gehalten. Das reiche Taber-
nakel der Jungfrau in Orto ſan Michele, die ſchoͤne Tafel
eines Seitenaltares der Kirche ſta Maria novella, ſind beide
mit dem Namen des Kùnſtlers und dem Jahre der Vollen-
dung bezeichnet, befinden ſich zudem an beſuchten und zu-
gaͤnglichen Orten, ſo daß auf alle Weiſe fuͤr die ununterbro-
chene Fortpflanzung ſeines Ruhmes geſorgt war. Dieſer An-
erkennung ungeachtet war man nur ſelten darauf bedacht, ſeine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0107" n="89"/>
vor einem zierlichen gothi&#x017F;chen Bau; es du&#x0364;rfte die Trauung<lb/>
Jo&#x017F;ephs und der Jungfrau dar&#x017F;tellen.</p><lb/>
              <p>Alle die&#x017F;e Gema&#x0364;lde zeigen eine Weichheit der Behand-<lb/>
lung, eine Ausbildung der Form, welche kein anderer Ku&#x0364;n&#x017F;t-<lb/>
ler der&#x017F;elben Zeit jemals erreicht hat; weßhalb zu verwundern<lb/>
i&#x017F;t, daß <persName ref="vocab.getty.edu/ulan/500012251">Giovanni</persName> bisher von alten und neueren Schrift&#x017F;tellern<lb/>
unter die abha&#x0364;ngigen und untergeordneten Mei&#x017F;ter ge&#x017F;tellt wor-<lb/>
den, da ihm doch der Ruhm gebu&#x0364;hrt, &#x017F;einer Zeit vorangeeilt<lb/>
zu &#x017F;eyn. &#x2014; Wie viel ha&#x0364;ufiger wu&#x0364;rde von ihm die Rede &#x017F;eyn,<lb/>
ha&#x0364;tte <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName> &#x017F;o viel von ihm gewußt, als er bedurfte, um<lb/>
eine Lebensbe&#x017F;chreibung zu machen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head><hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119065037">Andrea di Cione</persName>, genannt <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119065037">l&#x2019;Arcagnuolo</persName></hi>.</head><lb/>
              <p>Wenn Gegenwart und Nachwelt den Verdien&#x017F;ten des<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/121656705">Giovanni da Milano</persName> bis jetzt nicht ganz die Anerkennung<lb/>
gewa&#x0364;hrte, welche &#x017F;ie fodern; &#x017F;o ward dahingegen die Ueberle-<lb/>
genheit des Malers, Bildners und Architecten <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119065037">Arcagnuolo</persName> von<lb/>
jeher verehrt und geprie&#x017F;en, weßhalb ich &#x017F;eine noch vorhande-<lb/>
nen Werke als bekannt voraus&#x017F;etzen und hier nur flu&#x0364;chtig be-<lb/>
ru&#x0364;hren will. Die großen, &#x017F;cho&#x0364;nen, in die Augen fallenden<lb/>
Bauwerke die&#x017F;es Ku&#x0364;n&#x017F;tlers, die, <hi rendition="#aq">loggia de&#x2019; Lanzi</hi>, die Kirche<lb/>
und das Magazin Or&#x017F;anmichele, haben, wie es &#x017F;cheint, &#x017F;ein<lb/>
Andenken zu allen Zeiten wach gehalten. Das reiche Taber-<lb/>
nakel der Jungfrau in Orto &#x017F;an Michele, die &#x017F;cho&#x0364;ne Tafel<lb/>
eines Seitenaltares der Kirche &#x017F;ta Maria novella, &#x017F;ind beide<lb/>
mit dem Namen des Kùn&#x017F;tlers und dem Jahre der Vollen-<lb/>
dung bezeichnet, befinden &#x017F;ich zudem an be&#x017F;uchten und zu-<lb/>
ga&#x0364;nglichen Orten, &#x017F;o daß auf alle Wei&#x017F;e fu&#x0364;r die ununterbro-<lb/>
chene Fortpflanzung &#x017F;eines Ruhmes ge&#x017F;orgt war. Die&#x017F;er An-<lb/>
erkennung ungeachtet war man nur &#x017F;elten darauf bedacht, &#x017F;eine<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0107] vor einem zierlichen gothiſchen Bau; es duͤrfte die Trauung Joſephs und der Jungfrau darſtellen. Alle dieſe Gemaͤlde zeigen eine Weichheit der Behand- lung, eine Ausbildung der Form, welche kein anderer Kuͤnſt- ler derſelben Zeit jemals erreicht hat; weßhalb zu verwundern iſt, daß Giovanni bisher von alten und neueren Schriftſtellern unter die abhaͤngigen und untergeordneten Meiſter geſtellt wor- den, da ihm doch der Ruhm gebuͤhrt, ſeiner Zeit vorangeeilt zu ſeyn. — Wie viel haͤufiger wuͤrde von ihm die Rede ſeyn, haͤtte Vaſari ſo viel von ihm gewußt, als er bedurfte, um eine Lebensbeſchreibung zu machen. Andrea di Cione, genannt l’Arcagnuolo. Wenn Gegenwart und Nachwelt den Verdienſten des Giovanni da Milano bis jetzt nicht ganz die Anerkennung gewaͤhrte, welche ſie fodern; ſo ward dahingegen die Ueberle- genheit des Malers, Bildners und Architecten Arcagnuolo von jeher verehrt und geprieſen, weßhalb ich ſeine noch vorhande- nen Werke als bekannt vorausſetzen und hier nur fluͤchtig be- ruͤhren will. Die großen, ſchoͤnen, in die Augen fallenden Bauwerke dieſes Kuͤnſtlers, die, loggia de’ Lanzi, die Kirche und das Magazin Orſanmichele, haben, wie es ſcheint, ſein Andenken zu allen Zeiten wach gehalten. Das reiche Taber- nakel der Jungfrau in Orto ſan Michele, die ſchoͤne Tafel eines Seitenaltares der Kirche ſta Maria novella, ſind beide mit dem Namen des Kùnſtlers und dem Jahre der Vollen- dung bezeichnet, befinden ſich zudem an beſuchten und zu- gaͤnglichen Orten, ſo daß auf alle Weiſe fuͤr die ununterbro- chene Fortpflanzung ſeines Ruhmes geſorgt war. Dieſer An- erkennung ungeachtet war man nur ſelten darauf bedacht, ſeine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/107
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/107>, abgerufen am 22.12.2024.