Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 6. Leipzig, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite
124.
Es war ein Mann -- vielleicht ist mancher noch im Raume --
Dem alles wohl gelang, doch alles nur im Traume.
Im Traume sang er schön, im Traume sprach er gut,
Im Traume hatt' er Geld, im Traume hohen Muth.
Im Traume war er jung, im Traume hochgeehrt,
Im Traume kerngesund, im Traume grundgelehrt.
Im Traume pflanzte er den Garten blumenreich,
Im Traume baute er sein Haus Pallästen gleich.
Im Traume that er, was ihm Lust und Freude machte,
Und leid that es ihm nur, wenn er vom Traum erwachte.
Drum sucht' er alsobald zum Traum zurückzukehren,
Um zu genießen, was sein Wachen mußt' entbehren.
Unglücklich hat er nicht sein Leben hingebracht,
Weil er im Leben mehr geträumet als gewacht.
Doch glücklich war er nicht; nur glücklich ist der Wache,
Der nicht bedarf, daß erst ein Traum ihn glücklich mache.

124.
Es war ein Mann — vielleicht iſt mancher noch im Raume —
Dem alles wohl gelang, doch alles nur im Traume.
Im Traume ſang er ſchoͤn, im Traume ſprach er gut,
Im Traume hatt' er Geld, im Traume hohen Muth.
Im Traume war er jung, im Traume hochgeehrt,
Im Traume kerngeſund, im Traume grundgelehrt.
Im Traume pflanzte er den Garten blumenreich,
Im Traume baute er ſein Haus Pallaͤſten gleich.
Im Traume that er, was ihm Luſt und Freude machte,
Und leid that es ihm nur, wenn er vom Traum erwachte.
Drum ſucht' er alſobald zum Traum zuruͤckzukehren,
Um zu genießen, was ſein Wachen mußt' entbehren.
Ungluͤcklich hat er nicht ſein Leben hingebracht,
Weil er im Leben mehr getraͤumet als gewacht.
Doch gluͤcklich war er nicht; nur gluͤcklich iſt der Wache,
Der nicht bedarf, daß erſt ein Traum ihn gluͤcklich mache.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0350" n="340"/>
        <div n="2">
          <head>124.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <l/>
            <lg n="1">
              <l>Es war ein Mann &#x2014; vielleicht i&#x017F;t mancher noch im Raume &#x2014;</l><lb/>
              <l>Dem alles wohl gelang, doch alles nur im Traume.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Im Traume &#x017F;ang er &#x017F;cho&#x0364;n, im Traume &#x017F;prach er gut,</l><lb/>
              <l>Im Traume hatt' er Geld, im Traume hohen Muth.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Im Traume war er jung, im Traume hochgeehrt,</l><lb/>
              <l>Im Traume kernge&#x017F;und, im Traume grundgelehrt.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Im Traume pflanzte er den Garten blumenreich,</l><lb/>
              <l>Im Traume baute er &#x017F;ein Haus Palla&#x0364;&#x017F;ten gleich.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Im Traume that er, was ihm Lu&#x017F;t und Freude machte,</l><lb/>
              <l>Und leid that es ihm nur, wenn er vom Traum erwachte.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Drum &#x017F;ucht' er al&#x017F;obald zum Traum zuru&#x0364;ckzukehren,</l><lb/>
              <l>Um zu genießen, was &#x017F;ein Wachen mußt' entbehren.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="7">
              <l>Unglu&#x0364;cklich hat er nicht &#x017F;ein Leben hingebracht,</l><lb/>
              <l>Weil er im Leben mehr getra&#x0364;umet als gewacht.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="8">
              <l>Doch glu&#x0364;cklich war er nicht; nur glu&#x0364;cklich i&#x017F;t der Wache,</l><lb/>
              <l>Der nicht bedarf, daß er&#x017F;t ein Traum ihn glu&#x0364;cklich mache.</l>
            </lg><lb/>
            <l/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[340/0350] 124. Es war ein Mann — vielleicht iſt mancher noch im Raume — Dem alles wohl gelang, doch alles nur im Traume. Im Traume ſang er ſchoͤn, im Traume ſprach er gut, Im Traume hatt' er Geld, im Traume hohen Muth. Im Traume war er jung, im Traume hochgeehrt, Im Traume kerngeſund, im Traume grundgelehrt. Im Traume pflanzte er den Garten blumenreich, Im Traume baute er ſein Haus Pallaͤſten gleich. Im Traume that er, was ihm Luſt und Freude machte, Und leid that es ihm nur, wenn er vom Traum erwachte. Drum ſucht' er alſobald zum Traum zuruͤckzukehren, Um zu genießen, was ſein Wachen mußt' entbehren. Ungluͤcklich hat er nicht ſein Leben hingebracht, Weil er im Leben mehr getraͤumet als gewacht. Doch gluͤcklich war er nicht; nur gluͤcklich iſt der Wache, Der nicht bedarf, daß erſt ein Traum ihn gluͤcklich mache.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane06_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane06_1839/350
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 6. Leipzig, 1839, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane06_1839/350>, abgerufen am 21.12.2024.