Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 6. Leipzig, 1839.42. Wol ist die Poesie stets vor der Welt voraus; Wann kommt ihr diese nach, wo sie ist längst zu Haus? Doch geht die Poesie der Welt auch hinterdrein, Die stets voraus ihr rennt, nie holt sie jene ein. Wenn hier die Poesie ein Feld hat angebaut, Hat schon das Leben sich nach andrem umgeschaut. Was aber soll sie, wo das Leben ist entflohn? Sie sträubt sich lang', und muß am Ende doch davon; Und muß den Spuren nach, wo jetzt das Leben weilt; Da wohnt sie nun, indeß das Leben weiter eilt; Und schmückt die Spuren schön, sodaß sich dran erquickt Das Leben, wenns einmal stillstehend um sich blickt. So ist die Poesie hier stets Vergangenheit, Doch ew'ge Zukunft dort für Zeitbefangenheit. Sie blickt dem Leben nach, und leuchtet ihm voran, Wie Morgenabendroth umsäumt des Tages Bahn. 42. Wol iſt die Poeſie ſtets vor der Welt voraus; Wann kommt ihr dieſe nach, wo ſie iſt laͤngſt zu Haus? Doch geht die Poeſie der Welt auch hinterdrein, Die ſtets voraus ihr rennt, nie holt ſie jene ein. Wenn hier die Poeſie ein Feld hat angebaut, Hat ſchon das Leben ſich nach andrem umgeſchaut. Was aber ſoll ſie, wo das Leben iſt entflohn? Sie ſtraͤubt ſich lang', und muß am Ende doch davon; Und muß den Spuren nach, wo jetzt das Leben weilt; Da wohnt ſie nun, indeß das Leben weiter eilt; Und ſchmuͤckt die Spuren ſchoͤn, ſodaß ſich dran erquickt Das Leben, wenns einmal ſtillſtehend um ſich blickt. So iſt die Poeſie hier ſtets Vergangenheit, Doch ew'ge Zukunft dort fuͤr Zeitbefangenheit. Sie blickt dem Leben nach, und leuchtet ihm voran, Wie Morgenabendroth umſaͤumt des Tages Bahn. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0266" n="256"/> <div n="2"> <head>42.</head><lb/> <lg type="poem"> <l/> <lg n="1"> <l>Wol iſt die Poeſie ſtets vor der Welt voraus;</l><lb/> <l>Wann kommt ihr dieſe nach, wo ſie iſt laͤngſt zu Haus?</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Doch geht die Poeſie der Welt auch hinterdrein,</l><lb/> <l>Die ſtets voraus ihr rennt, nie holt ſie jene ein.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Wenn hier die Poeſie ein Feld hat angebaut,</l><lb/> <l>Hat ſchon das Leben ſich nach andrem umgeſchaut.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Was aber ſoll ſie, wo das Leben iſt entflohn?</l><lb/> <l>Sie ſtraͤubt ſich lang', und muß am Ende doch davon;</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Und muß den Spuren nach, wo jetzt das Leben weilt;</l><lb/> <l>Da wohnt ſie nun, indeß das Leben weiter eilt;</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Und ſchmuͤckt die Spuren ſchoͤn, ſodaß ſich dran erquickt</l><lb/> <l>Das Leben, wenns einmal ſtillſtehend um ſich blickt.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>So iſt die Poeſie hier ſtets Vergangenheit,</l><lb/> <l>Doch ew'ge Zukunft dort fuͤr Zeitbefangenheit.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Sie blickt dem Leben nach, und leuchtet ihm voran,</l><lb/> <l>Wie Morgenabendroth umſaͤumt des Tages Bahn.</l> </lg><lb/> <l/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [256/0266]
42.
Wol iſt die Poeſie ſtets vor der Welt voraus;
Wann kommt ihr dieſe nach, wo ſie iſt laͤngſt zu Haus?
Doch geht die Poeſie der Welt auch hinterdrein,
Die ſtets voraus ihr rennt, nie holt ſie jene ein.
Wenn hier die Poeſie ein Feld hat angebaut,
Hat ſchon das Leben ſich nach andrem umgeſchaut.
Was aber ſoll ſie, wo das Leben iſt entflohn?
Sie ſtraͤubt ſich lang', und muß am Ende doch davon;
Und muß den Spuren nach, wo jetzt das Leben weilt;
Da wohnt ſie nun, indeß das Leben weiter eilt;
Und ſchmuͤckt die Spuren ſchoͤn, ſodaß ſich dran erquickt
Das Leben, wenns einmal ſtillſtehend um ſich blickt.
So iſt die Poeſie hier ſtets Vergangenheit,
Doch ew'ge Zukunft dort fuͤr Zeitbefangenheit.
Sie blickt dem Leben nach, und leuchtet ihm voran,
Wie Morgenabendroth umſaͤumt des Tages Bahn.
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