Warum mit Reimen euch, und schweren Reimen, quälen? Wär' es, ihr Dichter, nicht genug die Silben zählen?
Den Griechen wars genug, warum wärs uns nicht auch? Doch Silbenzählung selbst ist zeitlicher Gebrauch:
Der Psalter Davids rauscht noch ohne Silbenzahl; Und so aus Zeit in Zeit wuchs mit der Kunst die Qual;
Und wuchs mit der Genuß, dem Hörer nicht allein, Dem Dichter allermeist, der gern geplagt will seyn.
Wer will nun jeder Zeit bestimmen gleiches Maß, Da jede nach Bedarf ihr eignes stets besaß?
Der Künstler aber sei gelobt, der fühlt und wägt, Was seine Zeit von Kunst bedarf und was verträgt;
Der ihr nichts bietet, was sie nicht verträgt, nichts weigert, Was sie bedarf, und nicht ihr falsch Bedürfnis steigert.
19.
Warum mit Reimen euch, und ſchweren Reimen, quaͤlen? Waͤr' es, ihr Dichter, nicht genug die Silben zaͤhlen?
Den Griechen wars genug, warum waͤrs uns nicht auch? Doch Silbenzaͤhlung ſelbſt iſt zeitlicher Gebrauch:
Der Pſalter Davids rauſcht noch ohne Silbenzahl; Und ſo aus Zeit in Zeit wuchs mit der Kunſt die Qual;
Und wuchs mit der Genuß, dem Hoͤrer nicht allein, Dem Dichter allermeiſt, der gern geplagt will ſeyn.
Wer will nun jeder Zeit beſtimmen gleiches Maß, Da jede nach Bedarf ihr eignes ſtets beſaß?
Der Kuͤnſtler aber ſei gelobt, der fuͤhlt und waͤgt, Was ſeine Zeit von Kunſt bedarf und was vertraͤgt;
Der ihr nichts bietet, was ſie nicht vertraͤgt, nichts weigert, Was ſie bedarf, und nicht ihr falſch Beduͤrfnis ſteigert.
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19.
Warum mit Reimen euch, und ſchweren Reimen, quaͤlen?
Waͤr' es, ihr Dichter, nicht genug die Silben zaͤhlen?
Den Griechen wars genug, warum waͤrs uns nicht auch?
Doch Silbenzaͤhlung ſelbſt iſt zeitlicher Gebrauch:
Der Pſalter Davids rauſcht noch ohne Silbenzahl;
Und ſo aus Zeit in Zeit wuchs mit der Kunſt die Qual;
Und wuchs mit der Genuß, dem Hoͤrer nicht allein,
Dem Dichter allermeiſt, der gern geplagt will ſeyn.
Wer will nun jeder Zeit beſtimmen gleiches Maß,
Da jede nach Bedarf ihr eignes ſtets beſaß?
Der Kuͤnſtler aber ſei gelobt, der fuͤhlt und waͤgt,
Was ſeine Zeit von Kunſt bedarf und was vertraͤgt;
Der ihr nichts bietet, was ſie nicht vertraͤgt, nichts weigert,
Was ſie bedarf, und nicht ihr falſch Beduͤrfnis ſteigert.
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Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 6. Leipzig, 1839, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane06_1839/252>, abgerufen am 22.02.2025.
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