Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 6. Leipzig, 1839.8. An alter Poesie verblühten Blumenbeeten Die silbenstechenden Ausleger der Poeten Erwecken mir halb kühl im Busen und halb schwül Aus Stolz und Trauer ein gemischtes Mitgefühl: Stolz, daß ein leichtes Wort zu solchen Ehren kam, Und Trauer, daß die Lust der Welt solch Ende nahm; Daß diese Blumen, die mit Duft und Glanze neu Einst Herzen labten, nun sind solcher Ochsen Heu. Auf, Lieder, laßt uns frisch der frischen Welt gefallen, Eh wir verdorrt zum Raub dem dürren Vieh heimfallen. 9. Des Schrifterklärers Fluch ist Alles zu erklären, Alsob am Himmel nicht auch Nebelsterne wären; An einem Blatt im Buch, der Raupe gleich, zu kleben,
Statt wie der Schmetterling die Blüte zu beschweben. 8. An alter Poeſie verbluͤhten Blumenbeeten Die ſilbenſtechenden Ausleger der Poeten Erwecken mir halb kuͤhl im Buſen und halb ſchwuͤl Aus Stolz und Trauer ein gemiſchtes Mitgefuͤhl: Stolz, daß ein leichtes Wort zu ſolchen Ehren kam, Und Trauer, daß die Luſt der Welt ſolch Ende nahm; Daß dieſe Blumen, die mit Duft und Glanze neu Einſt Herzen labten, nun ſind ſolcher Ochſen Heu. Auf, Lieder, laßt uns friſch der friſchen Welt gefallen, Eh wir verdorrt zum Raub dem duͤrren Vieh heimfallen. 9. Des Schrifterklaͤrers Fluch iſt Alles zu erklaͤren, Alsob am Himmel nicht auch Nebelſterne waͤren; An einem Blatt im Buch, der Raupe gleich, zu kleben,
Statt wie der Schmetterling die Bluͤte zu beſchweben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0245" n="235"/> <div n="2"> <head>8.</head><lb/> <lg type="poem"> <l/> <lg n="1"> <l>An alter Poeſie verbluͤhten Blumenbeeten</l><lb/> <l>Die ſilbenſtechenden Ausleger der Poeten</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Erwecken mir halb kuͤhl im Buſen und halb ſchwuͤl</l><lb/> <l>Aus Stolz und Trauer ein gemiſchtes Mitgefuͤhl:</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Stolz, daß ein leichtes Wort zu ſolchen Ehren kam,</l><lb/> <l>Und Trauer, daß die Luſt der Welt ſolch Ende nahm;</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Daß dieſe Blumen, die mit Duft und Glanze neu</l><lb/> <l>Einſt Herzen labten, nun ſind ſolcher Ochſen Heu.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Auf, Lieder, laßt uns friſch der friſchen Welt gefallen,</l><lb/> <l>Eh wir verdorrt zum Raub dem duͤrren Vieh heimfallen.</l> </lg><lb/> <l/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>9.</head><lb/> <lg type="poem"> <l/> <lg n="1"> <l>Des Schrifterklaͤrers Fluch iſt Alles zu erklaͤren,</l><lb/> <l>Alsob am Himmel nicht auch Nebelſterne waͤren;</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>An einem Blatt im Buch, der Raupe gleich, zu kleben,</l><lb/> <l>Statt wie der Schmetterling die Bluͤte zu beſchweben.</l> </lg><lb/> <l> </l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [235/0245]
8.
An alter Poeſie verbluͤhten Blumenbeeten
Die ſilbenſtechenden Ausleger der Poeten
Erwecken mir halb kuͤhl im Buſen und halb ſchwuͤl
Aus Stolz und Trauer ein gemiſchtes Mitgefuͤhl:
Stolz, daß ein leichtes Wort zu ſolchen Ehren kam,
Und Trauer, daß die Luſt der Welt ſolch Ende nahm;
Daß dieſe Blumen, die mit Duft und Glanze neu
Einſt Herzen labten, nun ſind ſolcher Ochſen Heu.
Auf, Lieder, laßt uns friſch der friſchen Welt gefallen,
Eh wir verdorrt zum Raub dem duͤrren Vieh heimfallen.
9.
Des Schrifterklaͤrers Fluch iſt Alles zu erklaͤren,
Alsob am Himmel nicht auch Nebelſterne waͤren;
An einem Blatt im Buch, der Raupe gleich, zu kleben,
Statt wie der Schmetterling die Bluͤte zu beſchweben.
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