Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 6. Leipzig, 1839.62. Wenn Freiheit du begehrst, des Menschen höchste Zierde, Herrsch' über Leidenschaft und Neigung und Begierde. Doch bilde dir nicht viel auf diese Herrschaft ein; Des freien Willens Stolz ist Gott gehorsam seyn. 63. Ein fester Standpunkt sei in deinem Kreis dir eigen, Wo dir die Dinge sich in rechter Weite zeigen. Nur da erblickst du sie vom wahren Licht erhellt, Wo um die Mitte sie im Kreise sind gestellt. Den andern mußt du auch ihren Gesichtskreis gönnen, In jeden fremden dich zugleich versetzen können. Statt deiner Augen mußt du können sehn mit ihren, Dein eignes Urtheil nur deswegen nicht verlieren. Einseitigkeit ist Noth, die's tüchtig meint und ehrlich, Doch von Allseitigkeit ein Stück auch unentbehrlich. 62. Wenn Freiheit du begehrſt, des Menſchen hoͤchſte Zierde, Herrſch' uͤber Leidenſchaft und Neigung und Begierde. Doch bilde dir nicht viel auf dieſe Herrſchaft ein; Des freien Willens Stolz iſt Gott gehorſam ſeyn. 63. Ein feſter Standpunkt ſei in deinem Kreis dir eigen, Wo dir die Dinge ſich in rechter Weite zeigen. Nur da erblickſt du ſie vom wahren Licht erhellt, Wo um die Mitte ſie im Kreiſe ſind geſtellt. Den andern mußt du auch ihren Geſichtskreis goͤnnen, In jeden fremden dich zugleich verſetzen koͤnnen. Statt deiner Augen mußt du koͤnnen ſehn mit ihren, Dein eignes Urtheil nur deswegen nicht verlieren. Einſeitigkeit iſt Noth, die's tuͤchtig meint und ehrlich, Doch von Allſeitigkeit ein Stuͤck auch unentbehrlich. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0230" n="220"/> <div n="2"> <head>62.</head><lb/> <lg type="poem"> <l/> <lg n="1"> <l>Wenn Freiheit du begehrſt, des Menſchen hoͤchſte Zierde,</l><lb/> <l>Herrſch' uͤber Leidenſchaft und Neigung und Begierde.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Doch bilde dir nicht viel auf dieſe Herrſchaft ein;</l><lb/> <l>Des freien Willens Stolz iſt Gott gehorſam ſeyn.</l> </lg><lb/> <l/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>63.</head><lb/> <lg type="poem"> <l/> <lg n="1"> <l>Ein feſter Standpunkt ſei in deinem Kreis dir eigen,</l><lb/> <l>Wo dir die Dinge ſich in rechter Weite zeigen.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Nur da erblickſt du ſie vom wahren Licht erhellt,</l><lb/> <l>Wo um die Mitte ſie im Kreiſe ſind geſtellt.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Den andern mußt du auch ihren Geſichtskreis goͤnnen,</l><lb/> <l>In jeden fremden dich zugleich verſetzen koͤnnen.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Statt deiner Augen mußt du koͤnnen ſehn mit ihren,</l><lb/> <l>Dein eignes Urtheil nur deswegen nicht verlieren.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Einſeitigkeit iſt Noth, die's tuͤchtig meint und ehrlich,</l><lb/> <l>Doch von Allſeitigkeit ein Stuͤck auch unentbehrlich.</l> </lg><lb/> <l/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [220/0230]
62.
Wenn Freiheit du begehrſt, des Menſchen hoͤchſte Zierde,
Herrſch' uͤber Leidenſchaft und Neigung und Begierde.
Doch bilde dir nicht viel auf dieſe Herrſchaft ein;
Des freien Willens Stolz iſt Gott gehorſam ſeyn.
63.
Ein feſter Standpunkt ſei in deinem Kreis dir eigen,
Wo dir die Dinge ſich in rechter Weite zeigen.
Nur da erblickſt du ſie vom wahren Licht erhellt,
Wo um die Mitte ſie im Kreiſe ſind geſtellt.
Den andern mußt du auch ihren Geſichtskreis goͤnnen,
In jeden fremden dich zugleich verſetzen koͤnnen.
Statt deiner Augen mußt du koͤnnen ſehn mit ihren,
Dein eignes Urtheil nur deswegen nicht verlieren.
Einſeitigkeit iſt Noth, die's tuͤchtig meint und ehrlich,
Doch von Allſeitigkeit ein Stuͤck auch unentbehrlich.
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