Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 6. Leipzig, 1839.84. Je näher jenem Kreis, wo graden Blicks die Sonne Zur Erde niederschaut, je näher Himmelswonne. Selbst minder schwer ist dort der ird'schen Stoffe Wucht, Wo raschern Schwunges wirkt der Erde Mittelflucht. Das Leben selbst ist leicht und gleich nur unterm Gleicher, Das nach dem Pol hin wird ungleich und mühsalreicher. Nur unterm Gleicher lag das Paradies vielleicht, Wo ganz das Leben ist gewesen gleich und leicht. Ist dort vielleicht noch izt ein höchster Berg zu finden, Wo Erd' und Himmel sich zum Paradies verbinden? Ein Berg, um den sich leicht im Tanz der Schatten dreht, Und auf des Mittags Höh' in lauter Glanz vergeht! Wo grad die Sonnen auf, und grad hinunter steigen, Und keiner unterm Pol sich birgt vom Sternenreigen. Wo mit dem Herbste stets der Frühling sich vermählt, Und im Jahrzeitenchor allein der Winter fehlt. 84. Je naͤher jenem Kreis, wo graden Blicks die Sonne Zur Erde niederſchaut, je naͤher Himmelswonne. Selbſt minder ſchwer iſt dort der ird'ſchen Stoffe Wucht, Wo raſchern Schwunges wirkt der Erde Mittelflucht. Das Leben ſelbſt iſt leicht und gleich nur unterm Gleicher, Das nach dem Pol hin wird ungleich und muͤhſalreicher. Nur unterm Gleicher lag das Paradies vielleicht, Wo ganz das Leben iſt geweſen gleich und leicht. Iſt dort vielleicht noch izt ein hoͤchſter Berg zu finden, Wo Erd' und Himmel ſich zum Paradies verbinden? Ein Berg, um den ſich leicht im Tanz der Schatten dreht, Und auf des Mittags Hoͤh' in lauter Glanz vergeht! Wo grad die Sonnen auf, und grad hinunter ſteigen, Und keiner unterm Pol ſich birgt vom Sternenreigen. Wo mit dem Herbſte ſtets der Fruͤhling ſich vermaͤhlt, Und im Jahrzeitenchor allein der Winter fehlt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0173" n="163"/> <div n="2"> <head>84.</head><lb/> <lg type="poem"> <l/> <lg n="1"> <l>Je naͤher jenem Kreis, wo graden Blicks die Sonne</l><lb/> <l>Zur Erde niederſchaut, je naͤher Himmelswonne.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Selbſt minder ſchwer iſt dort der ird'ſchen Stoffe Wucht,</l><lb/> <l>Wo raſchern Schwunges wirkt der Erde Mittelflucht.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Das Leben ſelbſt iſt leicht und gleich nur unterm Gleicher,</l><lb/> <l>Das nach dem Pol hin wird ungleich und muͤhſalreicher.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Nur unterm Gleicher lag das Paradies vielleicht,</l><lb/> <l>Wo ganz das Leben iſt geweſen gleich und leicht.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Iſt dort vielleicht noch izt ein hoͤchſter Berg zu finden,</l><lb/> <l>Wo Erd' und Himmel ſich zum Paradies verbinden?</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Ein Berg, um den ſich leicht im Tanz der Schatten dreht,</l><lb/> <l>Und auf des Mittags Hoͤh' in lauter Glanz vergeht!</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Wo grad die Sonnen auf, und grad hinunter ſteigen,</l><lb/> <l>Und keiner unterm Pol ſich birgt vom Sternenreigen.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Wo mit dem Herbſte ſtets der Fruͤhling ſich vermaͤhlt,</l><lb/> <l>Und im Jahrzeitenchor allein der Winter fehlt.</l> </lg><lb/> <l/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [163/0173]
84.
Je naͤher jenem Kreis, wo graden Blicks die Sonne
Zur Erde niederſchaut, je naͤher Himmelswonne.
Selbſt minder ſchwer iſt dort der ird'ſchen Stoffe Wucht,
Wo raſchern Schwunges wirkt der Erde Mittelflucht.
Das Leben ſelbſt iſt leicht und gleich nur unterm Gleicher,
Das nach dem Pol hin wird ungleich und muͤhſalreicher.
Nur unterm Gleicher lag das Paradies vielleicht,
Wo ganz das Leben iſt geweſen gleich und leicht.
Iſt dort vielleicht noch izt ein hoͤchſter Berg zu finden,
Wo Erd' und Himmel ſich zum Paradies verbinden?
Ein Berg, um den ſich leicht im Tanz der Schatten dreht,
Und auf des Mittags Hoͤh' in lauter Glanz vergeht!
Wo grad die Sonnen auf, und grad hinunter ſteigen,
Und keiner unterm Pol ſich birgt vom Sternenreigen.
Wo mit dem Herbſte ſtets der Fruͤhling ſich vermaͤhlt,
Und im Jahrzeitenchor allein der Winter fehlt.
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