Die wilde spricht: du hast, von der Natur entfernt, Den angestammten Trieb der Freiheit nur verlernt.
Ich aber fühle michs durchzittern und durchwittern; Leb wol! dort reicht man dir dein Futter aus den Gittern.
48.
Die Blumen standen frisch erquickt auf dürrer Au, Denn jede hatt' im Mund ihr Tröpflein Morgenthau.
Das hatten sie bei Nacht zur Tageskost empfangen. Sie sprachen: Schwestern, laßt uns nun mit Wen'gem langen!
Lang ist der heiße Tag, der uns versengt die Glieder, Und erst der Abend bringt uns eine Labung wieder.
Sie wachten hin den Tag so still alsob sie schliefen, Durchschliefen kühl die Nacht, erwachten früh und riefen:
Wir armen Schwestern, ach, heut müssen wir verschmachten, Da die gewohnte Lab' uns nicht die Stunden brachten.
Die wilde ſpricht: du haſt, von der Natur entfernt, Den angeſtammten Trieb der Freiheit nur verlernt.
Ich aber fuͤhle michs durchzittern und durchwittern; Leb wol! dort reicht man dir dein Futter aus den Gittern.
48.
Die Blumen ſtanden friſch erquickt auf duͤrrer Au, Denn jede hatt' im Mund ihr Troͤpflein Morgenthau.
Das hatten ſie bei Nacht zur Tageskoſt empfangen. Sie ſprachen: Schweſtern, laßt uns nun mit Wen'gem langen!
Lang iſt der heiße Tag, der uns verſengt die Glieder, Und erſt der Abend bringt uns eine Labung wieder.
Sie wachten hin den Tag ſo ſtill alsob ſie ſchliefen, Durchſchliefen kuͤhl die Nacht, erwachten fruͤh und riefen:
Wir armen Schweſtern, ach, heut muͤſſen wir verſchmachten, Da die gewohnte Lab' uns nicht die Stunden brachten.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><lgtype="poem"><pbfacs="#f0057"n="47"/><lgn="8"><l>Die wilde ſpricht: du haſt, von der Natur entfernt,</l><lb/><l>Den angeſtammten Trieb der Freiheit nur verlernt.</l></lg><lb/><lgn="9"><l>Ich aber fuͤhle michs durchzittern und durchwittern;</l><lb/><l>Leb wol! dort reicht man dir dein Futter aus den Gittern.</l></lg><lb/></lg></div><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>48.</head><lb/><lgtype="poem"><lgn="1"><l>Die Blumen ſtanden friſch erquickt auf duͤrrer Au,</l><lb/><l>Denn jede hatt' im Mund ihr Troͤpflein Morgenthau.</l></lg><lb/><lgn="2"><l>Das hatten ſie bei Nacht zur Tageskoſt empfangen.</l><lb/><l>Sie ſprachen: Schweſtern, laßt uns nun mit Wen'gem langen!</l></lg><lb/><lgn="3"><l>Lang iſt der heiße Tag, der uns verſengt die Glieder,</l><lb/><l>Und erſt der Abend bringt uns eine Labung wieder.</l></lg><lb/><lgn="4"><l>Sie wachten hin den Tag ſo ſtill alsob ſie ſchliefen,</l><lb/><l>Durchſchliefen kuͤhl die Nacht, erwachten fruͤh und riefen:</l></lg><lb/><lgn="5"><l>Wir armen Schweſtern, ach, heut muͤſſen wir verſchmachten,</l><lb/><l>Da die gewohnte Lab' uns nicht die Stunden brachten.</l></lg><lb/></lg></div></div></body></text></TEI>
[47/0057]
Die wilde ſpricht: du haſt, von der Natur entfernt,
Den angeſtammten Trieb der Freiheit nur verlernt.
Ich aber fuͤhle michs durchzittern und durchwittern;
Leb wol! dort reicht man dir dein Futter aus den Gittern.
48.
Die Blumen ſtanden friſch erquickt auf duͤrrer Au,
Denn jede hatt' im Mund ihr Troͤpflein Morgenthau.
Das hatten ſie bei Nacht zur Tageskoſt empfangen.
Sie ſprachen: Schweſtern, laßt uns nun mit Wen'gem langen!
Lang iſt der heiße Tag, der uns verſengt die Glieder,
Und erſt der Abend bringt uns eine Labung wieder.
Sie wachten hin den Tag ſo ſtill alsob ſie ſchliefen,
Durchſchliefen kuͤhl die Nacht, erwachten fruͤh und riefen:
Wir armen Schweſtern, ach, heut muͤſſen wir verſchmachten,
Da die gewohnte Lab' uns nicht die Stunden brachten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839/57>, abgerufen am 22.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.