Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.95. Wenn dir aus einem Buch, das heilig du benennst, Und wenn aus einem Spruch, den du für weis' erkennst, Aus einem Lehrermund mehr Wahrheit dir wird kund, Als offenbaret selbst dir ist im Herzensgrund; So magst du mit Vertraun auf die Belehrung baun, Und, eigner Einsicht blind, in die Erleuchtung schaun. Du bist entschuldigt, doch mußt du entschuldigen Auch die dem Geist mehr als Buchstaben huldigen. 96. Du hängst an Wurzeln, die du von Natur gewannst, Von denen du dich los nicht reißen sollst noch kannst. Die Wurzeln, deine Volks- und deine Glaubensart, Sind jede stark für sich, und doppelt stark gepaart. Aus ihnen Nahrung hast du unbewußt gesogen; Sie halten dich, wo du dich ihnen glaubst entzogen. 95. Wenn dir aus einem Buch, das heilig du benennſt, Und wenn aus einem Spruch, den du fuͤr weiſ' erkennſt, Aus einem Lehrermund mehr Wahrheit dir wird kund, Als offenbaret ſelbſt dir iſt im Herzensgrund; So magſt du mit Vertraun auf die Belehrung baun, Und, eigner Einſicht blind, in die Erleuchtung ſchaun. Du biſt entſchuldigt, doch mußt du entſchuldigen Auch die dem Geiſt mehr als Buchſtaben huldigen. 96. Du haͤngſt an Wurzeln, die du von Natur gewannſt, Von denen du dich los nicht reißen ſollſt noch kannſt. Die Wurzeln, deine Volks- und deine Glaubensart, Sind jede ſtark fuͤr ſich, und doppelt ſtark gepaart. Aus ihnen Nahrung haſt du unbewußt geſogen; Sie halten dich, wo du dich ihnen glaubſt entzogen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0305" n="295"/> <div n="2"> <head>95.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Wenn dir aus einem Buch, das heilig du benennſt,</l><lb/> <l>Und wenn aus einem Spruch, den du fuͤr weiſ' erkennſt,</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Aus einem Lehrermund mehr Wahrheit dir wird kund,</l><lb/> <l>Als offenbaret ſelbſt dir iſt im Herzensgrund;</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>So magſt du mit Vertraun auf die Belehrung baun,</l><lb/> <l>Und, eigner Einſicht blind, in die Erleuchtung ſchaun.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Du biſt entſchuldigt, doch mußt du entſchuldigen</l><lb/> <l>Auch die dem Geiſt mehr als Buchſtaben huldigen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>96.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Du haͤngſt an Wurzeln, die du von Natur gewannſt,</l><lb/> <l>Von denen du dich los nicht reißen ſollſt noch kannſt.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Die Wurzeln, deine Volks- und deine Glaubensart,</l><lb/> <l>Sind jede ſtark fuͤr ſich, und doppelt ſtark gepaart.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Aus ihnen Nahrung haſt du unbewußt geſogen;</l><lb/> <l>Sie halten dich, wo du dich ihnen glaubſt entzogen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [295/0305]
95.
Wenn dir aus einem Buch, das heilig du benennſt,
Und wenn aus einem Spruch, den du fuͤr weiſ' erkennſt,
Aus einem Lehrermund mehr Wahrheit dir wird kund,
Als offenbaret ſelbſt dir iſt im Herzensgrund;
So magſt du mit Vertraun auf die Belehrung baun,
Und, eigner Einſicht blind, in die Erleuchtung ſchaun.
Du biſt entſchuldigt, doch mußt du entſchuldigen
Auch die dem Geiſt mehr als Buchſtaben huldigen.
96.
Du haͤngſt an Wurzeln, die du von Natur gewannſt,
Von denen du dich los nicht reißen ſollſt noch kannſt.
Die Wurzeln, deine Volks- und deine Glaubensart,
Sind jede ſtark fuͤr ſich, und doppelt ſtark gepaart.
Aus ihnen Nahrung haſt du unbewußt geſogen;
Sie halten dich, wo du dich ihnen glaubſt entzogen.
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