Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.87. Laß einen Heilversuch dir meines Auges sagen, Des äußern, den du magst aufs Innre übertragen. Mein Auge sah sich selbst von einem Flor umhangen, Von einem Wirrgeweb aus Punkten, Flecken, Schlangen. Ein Netz der Täuschung, das die Sehkraft selbst sich wob, Das mit dem Blick sich senkt' und mit dem Blick sich hob. Ein Schatten, welcher nie vom Lichte sich verlor, Der, aus dem Aug' erzeugt, schwebt' überall ihm vor; Nur um so nächtlicher, als heller war der Tag, Wie vor der Unschuld wol die Schuld sich fühlen mag. Mir war davon die Lust an Gottes Welt benommen, Daß rein ihr Schönes nicht mir sollt' ins Auge kommen; Getrübt der Glanz der Flur, des Menschen Angesicht, Und jede Schrift, durch die der Geist zum Auge spricht. Den himmlischen Genuß des Lichtes wollt' ich missen Ehr als ihn haben so versetzt mit Finsternissen. 87. Laß einen Heilverſuch dir meines Auges ſagen, Des aͤußern, den du magſt aufs Innre uͤbertragen. Mein Auge ſah ſich ſelbſt von einem Flor umhangen, Von einem Wirrgeweb aus Punkten, Flecken, Schlangen. Ein Netz der Taͤuſchung, das die Sehkraft ſelbſt ſich wob, Das mit dem Blick ſich ſenkt' und mit dem Blick ſich hob. Ein Schatten, welcher nie vom Lichte ſich verlor, Der, aus dem Aug' erzeugt, ſchwebt' uͤberall ihm vor; Nur um ſo naͤchtlicher, als heller war der Tag, Wie vor der Unſchuld wol die Schuld ſich fuͤhlen mag. Mir war davon die Luſt an Gottes Welt benommen, Daß rein ihr Schoͤnes nicht mir ſollt' ins Auge kommen; Getruͤbt der Glanz der Flur, des Menſchen Angeſicht, Und jede Schrift, durch die der Geiſt zum Auge ſpricht. Den himmliſchen Genuß des Lichtes wollt' ich miſſen Ehr als ihn haben ſo verſetzt mit Finſterniſſen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0195" n="185"/> <div n="2"> <head>87.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Laß einen Heilverſuch dir meines Auges ſagen,</l><lb/> <l>Des aͤußern, den du magſt aufs Innre uͤbertragen.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Mein Auge ſah ſich ſelbſt von einem Flor umhangen,</l><lb/> <l>Von einem Wirrgeweb aus Punkten, Flecken, Schlangen.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Ein Netz der Taͤuſchung, das die Sehkraft ſelbſt ſich wob,</l><lb/> <l>Das mit dem Blick ſich ſenkt' und mit dem Blick ſich hob.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Ein Schatten, welcher nie vom Lichte ſich verlor,</l><lb/> <l>Der, aus dem Aug' erzeugt, ſchwebt' uͤberall ihm vor;</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Nur um ſo naͤchtlicher, als heller war der Tag,</l><lb/> <l>Wie vor der Unſchuld wol die Schuld ſich fuͤhlen mag.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Mir war davon die Luſt an Gottes Welt benommen,</l><lb/> <l>Daß rein ihr Schoͤnes nicht mir ſollt' ins Auge kommen;</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Getruͤbt der Glanz der Flur, des Menſchen Angeſicht,</l><lb/> <l>Und jede Schrift, durch die der Geiſt zum Auge ſpricht.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Den himmliſchen Genuß des Lichtes wollt' ich miſſen</l><lb/> <l>Ehr als ihn haben ſo verſetzt mit Finſterniſſen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [185/0195]
87.
Laß einen Heilverſuch dir meines Auges ſagen,
Des aͤußern, den du magſt aufs Innre uͤbertragen.
Mein Auge ſah ſich ſelbſt von einem Flor umhangen,
Von einem Wirrgeweb aus Punkten, Flecken, Schlangen.
Ein Netz der Taͤuſchung, das die Sehkraft ſelbſt ſich wob,
Das mit dem Blick ſich ſenkt' und mit dem Blick ſich hob.
Ein Schatten, welcher nie vom Lichte ſich verlor,
Der, aus dem Aug' erzeugt, ſchwebt' uͤberall ihm vor;
Nur um ſo naͤchtlicher, als heller war der Tag,
Wie vor der Unſchuld wol die Schuld ſich fuͤhlen mag.
Mir war davon die Luſt an Gottes Welt benommen,
Daß rein ihr Schoͤnes nicht mir ſollt' ins Auge kommen;
Getruͤbt der Glanz der Flur, des Menſchen Angeſicht,
Und jede Schrift, durch die der Geiſt zum Auge ſpricht.
Den himmliſchen Genuß des Lichtes wollt' ich miſſen
Ehr als ihn haben ſo verſetzt mit Finſterniſſen.
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