Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
92.
Was ragen himmelan die kalten dort und stolzen
Bergriesen, denen nie ist Schnee und Eis geschmolzen?
Die Sonn' im Aufgang scheint sich über sie zu wälzen,
Doch kann ihr Lebenstral den Todesfrost nicht schmelzen.
Und nur wo tiefer dringt herab ins niedre Thal,
Weckt Erdenlebenslust der Himmelslebenstral.
Was ists? wär' etwa kalt die Sonn' in ihrer Nähe,
Und schiene wärmer dem, der sie vom weiten sähe?
Nein, sondern ob der Welt so hoch ist Sonnenmacht,
Daß keinen Unterschied die Spanne höher macht.
Die stolzen haben sich der Erden überhoben,
Und kamen näher nicht darum dem Himmel droben.
Die Himmelssonne nun, zu der Bescheidnen Trost,
Gibt diesen Lebenswärm' und jenen Todesfrost.
92.
Was ragen himmelan die kalten dort und ſtolzen
Bergrieſen, denen nie iſt Schnee und Eis geſchmolzen?
Die Sonn' im Aufgang ſcheint ſich uͤber ſie zu waͤlzen,
Doch kann ihr Lebenſtral den Todesfroſt nicht ſchmelzen.
Und nur wo tiefer dringt herab ins niedre Thal,
Weckt Erdenlebensluſt der Himmelslebenſtral.
Was iſts? waͤr' etwa kalt die Sonn' in ihrer Naͤhe,
Und ſchiene waͤrmer dem, der ſie vom weiten ſaͤhe?
Nein, ſondern ob der Welt ſo hoch iſt Sonnenmacht,
Daß keinen Unterſchied die Spanne hoͤher macht.
Die ſtolzen haben ſich der Erden uͤberhoben,
Und kamen naͤher nicht darum dem Himmel droben.
Die Himmelsſonne nun, zu der Beſcheidnen Troſt,
Gibt dieſen Lebenswaͤrm' und jenen Todesfroſt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0106" n="96"/>
        <div n="2">
          <head>92.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Was ragen himmelan die kalten dort und &#x017F;tolzen</l><lb/>
              <l>Bergrie&#x017F;en, denen nie i&#x017F;t Schnee und Eis ge&#x017F;chmolzen?</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Die Sonn' im Aufgang &#x017F;cheint &#x017F;ich u&#x0364;ber &#x017F;ie zu wa&#x0364;lzen,</l><lb/>
              <l>Doch kann ihr Leben&#x017F;tral den Todesfro&#x017F;t nicht &#x017F;chmelzen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Und nur wo tiefer dringt herab ins niedre Thal,</l><lb/>
              <l>Weckt Erdenlebenslu&#x017F;t der Himmelsleben&#x017F;tral.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Was i&#x017F;ts? wa&#x0364;r' etwa kalt die Sonn' in ihrer Na&#x0364;he,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;chiene wa&#x0364;rmer dem, der &#x017F;ie vom weiten &#x017F;a&#x0364;he?</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Nein, &#x017F;ondern ob der Welt &#x017F;o hoch i&#x017F;t Sonnenmacht,</l><lb/>
              <l>Daß keinen Unter&#x017F;chied die Spanne ho&#x0364;her macht.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Die &#x017F;tolzen haben &#x017F;ich der Erden u&#x0364;berhoben,</l><lb/>
              <l>Und kamen na&#x0364;her nicht darum dem Himmel droben.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="7">
              <l>Die Himmels&#x017F;onne nun, zu der Be&#x017F;cheidnen Tro&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Gibt die&#x017F;en Lebenswa&#x0364;rm' und jenen Todesfro&#x017F;t.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0106] 92. Was ragen himmelan die kalten dort und ſtolzen Bergrieſen, denen nie iſt Schnee und Eis geſchmolzen? Die Sonn' im Aufgang ſcheint ſich uͤber ſie zu waͤlzen, Doch kann ihr Lebenſtral den Todesfroſt nicht ſchmelzen. Und nur wo tiefer dringt herab ins niedre Thal, Weckt Erdenlebensluſt der Himmelslebenſtral. Was iſts? waͤr' etwa kalt die Sonn' in ihrer Naͤhe, Und ſchiene waͤrmer dem, der ſie vom weiten ſaͤhe? Nein, ſondern ob der Welt ſo hoch iſt Sonnenmacht, Daß keinen Unterſchied die Spanne hoͤher macht. Die ſtolzen haben ſich der Erden uͤberhoben, Und kamen naͤher nicht darum dem Himmel droben. Die Himmelsſonne nun, zu der Beſcheidnen Troſt, Gibt dieſen Lebenswaͤrm' und jenen Todesfroſt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839/106
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839/106>, abgerufen am 21.12.2024.