Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837.50. Von Strömen täglich trägt und stündlich welch ein Heer Dem Meer süß Wasser zu, doch bitter bleibt das Meer. So täglich, stündlich bringt von Weisheit auch genug Zur Welt der Weisen Zunft, doch wird die Welt nicht klug. Doch ließen dieses sich die Weisen wol verdrießen, Da unverdrossen stets ins Meer die Ströme fließen? Da nie in ihrem Lauf die Ströme sich verbittern, Wie sollten Weise sich im ihrigen erbittern? Die Ströme süßen nie das Meer, doch ziehen sie Aus ihm ihr Süßes selbst, und wissen selbst nicht wie, Ob unterirdisch aufgedampft und ausgebraut, Ob überirdisch abgeklärt und angethaut; Des Meeres bittre Flut wird süße Quelle wieder, Und billig strömt der Quell darum zum Meere nieder. 50. Von Stroͤmen taͤglich traͤgt und ſtuͤndlich welch ein Heer Dem Meer ſuͤß Waſſer zu, doch bitter bleibt das Meer. So taͤglich, ſtuͤndlich bringt von Weisheit auch genug Zur Welt der Weiſen Zunft, doch wird die Welt nicht klug. Doch ließen dieſes ſich die Weiſen wol verdrießen, Da unverdroſſen ſtets ins Meer die Stroͤme fließen? Da nie in ihrem Lauf die Stroͤme ſich verbittern, Wie ſollten Weiſe ſich im ihrigen erbittern? Die Stroͤme ſuͤßen nie das Meer, doch ziehen ſie Aus ihm ihr Suͤßes ſelbſt, und wiſſen ſelbſt nicht wie, Ob unterirdiſch aufgedampft und ausgebraut, Ob uͤberirdiſch abgeklaͤrt und angethaut; Des Meeres bittre Flut wird ſuͤße Quelle wieder, Und billig ſtroͤmt der Quell darum zum Meere nieder. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0052" n="42"/> <div n="2"> <head>50.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Von Stroͤmen taͤglich traͤgt und ſtuͤndlich welch ein Heer</l><lb/> <l>Dem Meer ſuͤß Waſſer zu, doch bitter bleibt das Meer.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>So taͤglich, ſtuͤndlich bringt von Weisheit auch genug</l><lb/> <l>Zur Welt der Weiſen Zunft, doch wird die Welt nicht klug.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Doch ließen dieſes ſich die Weiſen wol verdrießen,</l><lb/> <l>Da unverdroſſen ſtets ins Meer die Stroͤme fließen?</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Da nie in ihrem Lauf die Stroͤme ſich verbittern,</l><lb/> <l>Wie ſollten Weiſe ſich im ihrigen erbittern?</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Die Stroͤme ſuͤßen nie das Meer, doch ziehen ſie</l><lb/> <l>Aus ihm ihr Suͤßes ſelbſt, und wiſſen ſelbſt nicht wie,</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Ob unterirdiſch aufgedampft und ausgebraut,</l><lb/> <l>Ob uͤberirdiſch abgeklaͤrt und angethaut;</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Des Meeres bittre Flut wird ſuͤße Quelle wieder,</l><lb/> <l>Und billig ſtroͤmt der Quell darum zum Meere nieder.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [42/0052]
50.
Von Stroͤmen taͤglich traͤgt und ſtuͤndlich welch ein Heer
Dem Meer ſuͤß Waſſer zu, doch bitter bleibt das Meer.
So taͤglich, ſtuͤndlich bringt von Weisheit auch genug
Zur Welt der Weiſen Zunft, doch wird die Welt nicht klug.
Doch ließen dieſes ſich die Weiſen wol verdrießen,
Da unverdroſſen ſtets ins Meer die Stroͤme fließen?
Da nie in ihrem Lauf die Stroͤme ſich verbittern,
Wie ſollten Weiſe ſich im ihrigen erbittern?
Die Stroͤme ſuͤßen nie das Meer, doch ziehen ſie
Aus ihm ihr Suͤßes ſelbſt, und wiſſen ſelbſt nicht wie,
Ob unterirdiſch aufgedampft und ausgebraut,
Ob uͤberirdiſch abgeklaͤrt und angethaut;
Des Meeres bittre Flut wird ſuͤße Quelle wieder,
Und billig ſtroͤmt der Quell darum zum Meere nieder.
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