Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite
36.
Was unterscheidet dich, o Mensch, von der Natur?
Du bist ein Werdender, sie ist geworden nur.
Sie ist geworden, was sie werden sollt' und kann;
Du aber bist ein Kind, das werden soll ein Mann.
Darum an der Natur ist alles schön und groß,
Vollkommen, reich und stark, du schwach, nackt, arm und bloß.
Doch ist die Kraft in dir, stark, reich und groß zu werden;
Und daß die Kraft du fühlst, seh' ich an den Geberden.
Und dis Gefühl der Kraft soll man dir nicht zerbrechen;
Dir soll wenn es erschlafft, der Himmel Muth einsprechen.
Du kanst nicht sinken, wenn du dich erheben willst,
Wenn du am Niedern nicht dein Hochverlangen stillst.
Gewonnen ist das Ziel, wenn du den Muth gewannst,
Daß du schon jetzt bist viel, und mehr stets werden kannst.

36.
Was unterſcheidet dich, o Menſch, von der Natur?
Du biſt ein Werdender, ſie iſt geworden nur.
Sie iſt geworden, was ſie werden ſollt' und kann;
Du aber biſt ein Kind, das werden ſoll ein Mann.
Darum an der Natur iſt alles ſchoͤn und groß,
Vollkommen, reich und ſtark, du ſchwach, nackt, arm und bloß.
Doch iſt die Kraft in dir, ſtark, reich und groß zu werden;
Und daß die Kraft du fuͤhlſt, ſeh' ich an den Geberden.
Und dis Gefuͤhl der Kraft ſoll man dir nicht zerbrechen;
Dir ſoll wenn es erſchlafft, der Himmel Muth einſprechen.
Du kanſt nicht ſinken, wenn du dich erheben willſt,
Wenn du am Niedern nicht dein Hochverlangen ſtillſt.
Gewonnen iſt das Ziel, wenn du den Muth gewannſt,
Daß du ſchon jetzt biſt viel, und mehr ſtets werden kannſt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0144" n="134"/>
        <div n="2">
          <head>36.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Was unter&#x017F;cheidet dich, o Men&#x017F;ch, von der Natur?</l><lb/>
              <l>Du bi&#x017F;t ein Werdender, &#x017F;ie i&#x017F;t geworden nur.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Sie i&#x017F;t geworden, was &#x017F;ie werden &#x017F;ollt' und kann;</l><lb/>
              <l>Du aber bi&#x017F;t ein Kind, das werden &#x017F;oll ein Mann.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Darum an der Natur i&#x017F;t alles &#x017F;cho&#x0364;n und groß,</l><lb/>
              <l>Vollkommen, reich und &#x017F;tark, du &#x017F;chwach, nackt, arm und bloß.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Doch i&#x017F;t die Kraft in dir, &#x017F;tark, reich und groß zu werden;</l><lb/>
              <l>Und daß die Kraft du fu&#x0364;hl&#x017F;t, &#x017F;eh' ich an den Geberden.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Und dis Gefu&#x0364;hl der Kraft &#x017F;oll man dir nicht zerbrechen;</l><lb/>
              <l>Dir &#x017F;oll wenn es er&#x017F;chlafft, der Himmel Muth ein&#x017F;prechen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Du kan&#x017F;t nicht &#x017F;inken, wenn du dich erheben will&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Wenn du am Niedern nicht dein Hochverlangen &#x017F;till&#x017F;t.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="7">
              <l>Gewonnen i&#x017F;t das Ziel, wenn du den Muth gewann&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Daß du &#x017F;chon jetzt bi&#x017F;t viel, und mehr &#x017F;tets werden kann&#x017F;t.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0144] 36. Was unterſcheidet dich, o Menſch, von der Natur? Du biſt ein Werdender, ſie iſt geworden nur. Sie iſt geworden, was ſie werden ſollt' und kann; Du aber biſt ein Kind, das werden ſoll ein Mann. Darum an der Natur iſt alles ſchoͤn und groß, Vollkommen, reich und ſtark, du ſchwach, nackt, arm und bloß. Doch iſt die Kraft in dir, ſtark, reich und groß zu werden; Und daß die Kraft du fuͤhlſt, ſeh' ich an den Geberden. Und dis Gefuͤhl der Kraft ſoll man dir nicht zerbrechen; Dir ſoll wenn es erſchlafft, der Himmel Muth einſprechen. Du kanſt nicht ſinken, wenn du dich erheben willſt, Wenn du am Niedern nicht dein Hochverlangen ſtillſt. Gewonnen iſt das Ziel, wenn du den Muth gewannſt, Daß du ſchon jetzt biſt viel, und mehr ſtets werden kannſt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane03_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane03_1837/144
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane03_1837/144>, abgerufen am 21.11.2024.