Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837.So ausgestrichen ward viel Unverstandenes. Doch blieb am Ende noch genug Vorhandenes. Wol denkt der alte Herr, daß ohne viel Beschwerden Gemeinverständlich so die heil'ge Schrift soll werden. Doch als von vorn ins Buch es wieder gieng aufs Jahr, Fand heuer dunkel sich, was ferden deutlich war. "Verstehst du's, Hans?" - Nein, Herr!-"Ich auch nicht, Hans, streich's aus!" Da ward im dritten Jahr ein einz'ger Strich daraus. Was lehret uns der Strich? daß man in Schriften heilig Nicht Unverständliches ausstreichen soll voreilig. Das Unverständliche, laß nur mit drein es gehn, Sonst wirst du selbst nicht das Verständliche verstehn. 14. Zu schreiben leserlich ist durchaus zu empfehlen; Besonders laß es nicht am eignen Namen fehlen. Es ist Anmaßung, nur den Königen zu gönnen, Als müßte deinen Zug entziffern jeder können. So ausgeſtrichen ward viel Unverſtandenes. Doch blieb am Ende noch genug Vorhandenes. Wol denkt der alte Herr, daß ohne viel Beſchwerden Gemeinverſtaͤndlich ſo die heil'ge Schrift ſoll werden. Doch als von vorn ins Buch es wieder gieng aufs Jahr, Fand heuer dunkel ſich, was ferden deutlich war. „Verſtehſt du's, Hans?“ - Nein, Herr!-„Ich auch nicht, Hans, ſtreich's aus!“ Da ward im dritten Jahr ein einz'ger Strich daraus. Was lehret uns der Strich? daß man in Schriften heilig Nicht Unverſtaͤndliches ausſtreichen ſoll voreilig. Das Unverſtaͤndliche, laß nur mit drein es gehn, Sonſt wirſt du ſelbſt nicht das Verſtaͤndliche verſtehn. 14. Zu ſchreiben leſerlich iſt durchaus zu empfehlen; Beſonders laß es nicht am eignen Namen fehlen. Es iſt Anmaßung, nur den Koͤnigen zu goͤnnen, Als muͤßte deinen Zug entziffern jeder koͤnnen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <l> <pb facs="#f0216" n="206"/> </l> <lg n="5"> <l>So ausgeſtrichen ward viel Unverſtandenes.</l><lb/> <l>Doch blieb am Ende noch genug Vorhandenes.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Wol denkt der alte Herr, daß ohne viel Beſchwerden</l><lb/> <l>Gemeinverſtaͤndlich ſo die heil'ge Schrift ſoll werden.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Doch als von vorn ins Buch es wieder gieng aufs Jahr,</l><lb/> <l>Fand heuer dunkel ſich, was ferden deutlich war.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>„Verſtehſt du's, Hans?“ - Nein, Herr!-„Ich auch nicht, Hans, ſtreich's aus!“</l><lb/> <l>Da ward im dritten Jahr ein einz'ger Strich daraus.</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Was lehret uns der Strich? daß man in Schriften heilig</l><lb/> <l>Nicht Unverſtaͤndliches ausſtreichen ſoll voreilig.</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>Das Unverſtaͤndliche, laß nur mit drein es gehn,</l><lb/> <l>Sonſt wirſt du ſelbſt nicht das Verſtaͤndliche verſtehn.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>14.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Zu ſchreiben leſerlich iſt durchaus zu empfehlen;</l><lb/> <l>Beſonders laß es nicht am eignen Namen fehlen.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Es iſt Anmaßung, nur den Koͤnigen zu goͤnnen,</l><lb/> <l>Als muͤßte deinen Zug entziffern jeder koͤnnen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [206/0216]
So ausgeſtrichen ward viel Unverſtandenes.
Doch blieb am Ende noch genug Vorhandenes.
Wol denkt der alte Herr, daß ohne viel Beſchwerden
Gemeinverſtaͤndlich ſo die heil'ge Schrift ſoll werden.
Doch als von vorn ins Buch es wieder gieng aufs Jahr,
Fand heuer dunkel ſich, was ferden deutlich war.
„Verſtehſt du's, Hans?“ - Nein, Herr!-„Ich auch nicht, Hans, ſtreich's aus!“
Da ward im dritten Jahr ein einz'ger Strich daraus.
Was lehret uns der Strich? daß man in Schriften heilig
Nicht Unverſtaͤndliches ausſtreichen ſoll voreilig.
Das Unverſtaͤndliche, laß nur mit drein es gehn,
Sonſt wirſt du ſelbſt nicht das Verſtaͤndliche verſtehn.
14.
Zu ſchreiben leſerlich iſt durchaus zu empfehlen;
Beſonders laß es nicht am eignen Namen fehlen.
Es iſt Anmaßung, nur den Koͤnigen zu goͤnnen,
Als muͤßte deinen Zug entziffern jeder koͤnnen.
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Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane02_1837/216>, abgerufen am 22.02.2025. |