Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837.295. In Schulen plagte man uns mit der Steigerung Von Möglich-, Wirklich- und Nothwendigkeit genung. Von Möglich ging man aus, zu Wirklich schritt man weiter, Und legte endlich ans Nothwendige die Leiter. Gering sei Möglichkeit, und Wirklichkeit vornehmer, Nothwendigkeit noch mehr, und desto unbequemer. Doch Möglichkeit ist leicht, Nothwendigkeit so schwer; Ist Leichtes unten wol, und Schweres obenher? Drum kehren wir es um, das erste sei das dritte, Doch zwischen beiden bleibt dem zweiten stets die Mitte. Die Wirklichkeit, die sich nicht senken darf noch heben, Bleibt zwischen Möglich- und Nothwendigkeit im Schweben. Nothwendigkeit ist ganz nothwendig Sklaverei,
Halbfrei ist Wirklichkeit, nur Möglichkeit ganz frei. 295. In Schulen plagte man uns mit der Steigerung Von Moͤglich-, Wirklich- und Nothwendigkeit genung. Von Moͤglich ging man aus, zu Wirklich ſchritt man weiter, Und legte endlich ans Nothwendige die Leiter. Gering ſei Moͤglichkeit, und Wirklichkeit vornehmer, Nothwendigkeit noch mehr, und deſto unbequemer. Doch Moͤglichkeit iſt leicht, Nothwendigkeit ſo ſchwer; Iſt Leichtes unten wol, und Schweres obenher? Drum kehren wir es um, das erſte ſei das dritte, Doch zwiſchen beiden bleibt dem zweiten ſtets die Mitte. Die Wirklichkeit, die ſich nicht ſenken darf noch heben, Bleibt zwiſchen Moͤglich- und Nothwendigkeit im Schweben. Nothwendigkeit iſt ganz nothwendig Sklaverei,
Halbfrei iſt Wirklichkeit, nur Moͤglichkeit ganz frei. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0189" n="179"/> <div n="2"> <head>295.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>In Schulen plagte man uns mit der Steigerung</l><lb/> <l>Von Moͤglich-, Wirklich- und Nothwendigkeit genung.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Von Moͤglich ging man aus, zu Wirklich ſchritt man weiter,</l><lb/> <l>Und legte endlich ans Nothwendige die Leiter.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Gering ſei Moͤglichkeit, und Wirklichkeit vornehmer,</l><lb/> <l>Nothwendigkeit noch mehr, und deſto unbequemer.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Doch Moͤglichkeit iſt leicht, Nothwendigkeit ſo ſchwer;</l><lb/> <l>Iſt Leichtes unten wol, und Schweres obenher?</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Drum kehren wir es um, das erſte ſei das dritte,</l><lb/> <l>Doch zwiſchen beiden bleibt dem zweiten ſtets die Mitte.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Die Wirklichkeit, die ſich nicht ſenken darf noch heben,</l><lb/> <l>Bleibt zwiſchen Moͤglich- und Nothwendigkeit im Schweben.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Nothwendigkeit iſt ganz nothwendig Sklaverei,</l><lb/> <l>Halbfrei iſt Wirklichkeit, nur Moͤglichkeit ganz frei.</l> </lg><lb/> <l> </l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [179/0189]
295.
In Schulen plagte man uns mit der Steigerung
Von Moͤglich-, Wirklich- und Nothwendigkeit genung.
Von Moͤglich ging man aus, zu Wirklich ſchritt man weiter,
Und legte endlich ans Nothwendige die Leiter.
Gering ſei Moͤglichkeit, und Wirklichkeit vornehmer,
Nothwendigkeit noch mehr, und deſto unbequemer.
Doch Moͤglichkeit iſt leicht, Nothwendigkeit ſo ſchwer;
Iſt Leichtes unten wol, und Schweres obenher?
Drum kehren wir es um, das erſte ſei das dritte,
Doch zwiſchen beiden bleibt dem zweiten ſtets die Mitte.
Die Wirklichkeit, die ſich nicht ſenken darf noch heben,
Bleibt zwiſchen Moͤglich- und Nothwendigkeit im Schweben.
Nothwendigkeit iſt ganz nothwendig Sklaverei,
Halbfrei iſt Wirklichkeit, nur Moͤglichkeit ganz frei.
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