Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837.193. Der Armen Anblick ist ein stummer Vorwurf dir, O Reicher, frage dich: Wer gab den Vorzug mir? Der dir den Vorzug hat gegeben vor den Armen, Gab er nicht auch für sie dir in die Seel' Erbarmen? Und sind sie dankbarer für ihre Blöße gar, Als du für deine Pracht, wie bist du undankbar! Und wenn an freudigem Vertraun sie dich beschämen, So braucht zur Strafe dir Gott nicht den Schatz zu nehmen. Er lasse dir den Schatz, damit du wie die Schlange, Die schätzehütende, dich kümmerst zag und bange, Daß es die Armuth seh' und nicht solch Glück verlange. 193. Der Armen Anblick iſt ein ſtummer Vorwurf dir, O Reicher, frage dich: Wer gab den Vorzug mir? Der dir den Vorzug hat gegeben vor den Armen, Gab er nicht auch fuͤr ſie dir in die Seel' Erbarmen? Und ſind ſie dankbarer fuͤr ihre Bloͤße gar, Als du fuͤr deine Pracht, wie biſt du undankbar! Und wenn an freudigem Vertraun ſie dich beſchaͤmen, So braucht zur Strafe dir Gott nicht den Schatz zu nehmen. Er laſſe dir den Schatz, damit du wie die Schlange, Die ſchaͤtzehuͤtende, dich kuͤmmerſt zag und bange, Daß es die Armuth ſeh' und nicht ſolch Gluͤck verlange. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0126" n="116"/> <div n="2"> <head>193.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Der Armen Anblick iſt ein ſtummer Vorwurf dir,</l><lb/> <l>O Reicher, frage dich: Wer gab den Vorzug mir?</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Der dir den Vorzug hat gegeben vor den Armen,</l><lb/> <l>Gab er nicht auch fuͤr ſie dir in die Seel' Erbarmen?</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Und ſind ſie dankbarer fuͤr ihre Bloͤße gar,</l><lb/> <l>Als du fuͤr deine Pracht, wie biſt du undankbar!</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Und wenn an freudigem Vertraun ſie dich beſchaͤmen,</l><lb/> <l>So braucht zur Strafe dir Gott nicht den Schatz zu nehmen.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Er laſſe dir den Schatz, damit du wie die Schlange,</l><lb/> <l>Die ſchaͤtzehuͤtende, dich kuͤmmerſt zag und bange,</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Daß es die Armuth ſeh' und nicht ſolch Gluͤck verlange.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [116/0126]
193.
Der Armen Anblick iſt ein ſtummer Vorwurf dir,
O Reicher, frage dich: Wer gab den Vorzug mir?
Der dir den Vorzug hat gegeben vor den Armen,
Gab er nicht auch fuͤr ſie dir in die Seel' Erbarmen?
Und ſind ſie dankbarer fuͤr ihre Bloͤße gar,
Als du fuͤr deine Pracht, wie biſt du undankbar!
Und wenn an freudigem Vertraun ſie dich beſchaͤmen,
So braucht zur Strafe dir Gott nicht den Schatz zu nehmen.
Er laſſe dir den Schatz, damit du wie die Schlange,
Die ſchaͤtzehuͤtende, dich kuͤmmerſt zag und bange,
Daß es die Armuth ſeh' und nicht ſolch Gluͤck verlange.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane02_1837 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane02_1837/126 |
Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 2. Leipzig, 1837, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane02_1837/126>, abgerufen am 22.02.2025. |