Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836.21. Gelobt sei jede Form, weich sei sie oder schroff; Denn jede neue Form erzeuget neu den Stoff. Der Geist, der einer ist und vielfach wird geboren, Sucht neuen Leib, wann er am alten Lust verloren. Er thut durch Ein Organ sich nur zur Hälfte kund, Verschweigt die Hälfte, bis er findet andern Mund. Was als Kristall er konnt', als Edelstein nicht sprühn, Wird er einmal als Pflanz', als Blum' einmal ausblühn. 22. Das Echo, das du weckst, reizt dich, o Nachtigall, Wie einen Dichter spornt des Beifalls Widerhall. Was ist der Widerhall? Bist du es nicht allein? Gib dir den Beifall selbst, und laß den tauben Stein. Was hilfts! Es wächst die Kraft des Worts und seine Lust, Wenn statt aus deiner du es sprichst aus Aller Brust. 21. Gelobt ſei jede Form, weich ſei ſie oder ſchroff; Denn jede neue Form erzeuget neu den Stoff. Der Geiſt, der einer iſt und vielfach wird geboren, Sucht neuen Leib, wann er am alten Luſt verloren. Er thut durch Ein Organ ſich nur zur Haͤlfte kund, Verſchweigt die Haͤlfte, bis er findet andern Mund. Was als Kriſtall er konnt', als Edelſtein nicht ſpruͤhn, Wird er einmal als Pflanz', als Blum' einmal ausbluͤhn. 22. Das Echo, das du weckſt, reizt dich, o Nachtigall, Wie einen Dichter ſpornt des Beifalls Widerhall. Was iſt der Widerhall? Biſt du es nicht allein? Gib dir den Beifall ſelbſt, und laß den tauben Stein. Was hilfts! Es waͤchſt die Kraft des Worts und ſeine Luſt, Wenn ſtatt aus deiner du es ſprichſt aus Aller Bruſt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0032" n="22"/> <div n="2"> <head>21.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Gelobt ſei jede Form, weich ſei ſie oder ſchroff;</l><lb/> <l>Denn jede neue Form erzeuget neu den Stoff.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Der Geiſt, der einer iſt und vielfach wird geboren,</l><lb/> <l>Sucht neuen Leib, wann er am alten Luſt verloren.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Er thut durch Ein Organ ſich nur zur Haͤlfte kund,</l><lb/> <l>Verſchweigt die Haͤlfte, bis er findet andern Mund.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Was als Kriſtall er konnt', als Edelſtein nicht ſpruͤhn,</l><lb/> <l>Wird er einmal als Pflanz', als Blum' einmal ausbluͤhn.</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>22.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Das Echo, das du weckſt, reizt dich, o Nachtigall,</l><lb/> <l>Wie einen Dichter ſpornt des Beifalls Widerhall.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Was iſt der Widerhall? Biſt du es nicht allein?</l><lb/> <l>Gib dir den Beifall ſelbſt, und laß den tauben Stein.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Was hilfts! Es waͤchſt die Kraft des Worts und ſeine Luſt,</l><lb/> <l>Wenn ſtatt aus deiner du es ſprichſt aus Aller Bruſt.</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [22/0032]
21.
Gelobt ſei jede Form, weich ſei ſie oder ſchroff;
Denn jede neue Form erzeuget neu den Stoff.
Der Geiſt, der einer iſt und vielfach wird geboren,
Sucht neuen Leib, wann er am alten Luſt verloren.
Er thut durch Ein Organ ſich nur zur Haͤlfte kund,
Verſchweigt die Haͤlfte, bis er findet andern Mund.
Was als Kriſtall er konnt', als Edelſtein nicht ſpruͤhn,
Wird er einmal als Pflanz', als Blum' einmal ausbluͤhn.
22.
Das Echo, das du weckſt, reizt dich, o Nachtigall,
Wie einen Dichter ſpornt des Beifalls Widerhall.
Was iſt der Widerhall? Biſt du es nicht allein?
Gib dir den Beifall ſelbſt, und laß den tauben Stein.
Was hilfts! Es waͤchſt die Kraft des Worts und ſeine Luſt,
Wenn ſtatt aus deiner du es ſprichſt aus Aller Bruſt.
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Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836/32>, abgerufen am 04.07.2024. |