Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836.33. Mit meinem Meister gieng ich pilgern über Land, Wir wählten einen Baum zur Rast im Mittagsbrand. Ein wilder Tiger kam vom Wald daher im Lauf, Besinnungslose Furcht trieb mich den Baum hinauf. Ich sah von obenher, wie jener drunten saß, Und seinen Grimm vor ihm das wilde Thier vergaß. Es wedelte geschmiegt alswie ein Hündlein zahm, Und wandelte zurück zum Wald, aus dem es kam. Ich stieg beschämt herab, wir aber zogen weiter, Ein Obdach suchten wir bei Nacht als müde Schreiter. Da war's nach Mitternacht, als eine Mücke stach Den Meister, daß er stöhnt', und ich verwundert sprach: Ein Tigerrachen ließ dich gestern unverletzt, Wie nun verwundet dich ein Mückenstachel jetzt? 33. Mit meinem Meiſter gieng ich pilgern uͤber Land, Wir waͤhlten einen Baum zur Raſt im Mittagsbrand. Ein wilder Tiger kam vom Wald daher im Lauf, Beſinnungsloſe Furcht trieb mich den Baum hinauf. Ich ſah von obenher, wie jener drunten ſaß, Und ſeinen Grimm vor ihm das wilde Thier vergaß. Es wedelte geſchmiegt alswie ein Huͤndlein zahm, Und wandelte zuruͤck zum Wald, aus dem es kam. Ich ſtieg beſchaͤmt herab, wir aber zogen weiter, Ein Obdach ſuchten wir bei Nacht als muͤde Schreiter. Da war's nach Mitternacht, als eine Muͤcke ſtach Den Meiſter, daß er ſtoͤhnt', und ich verwundert ſprach: Ein Tigerrachen ließ dich geſtern unverletzt, Wie nun verwundet dich ein Muͤckenſtachel jetzt? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0247" n="237"/> <div n="2"> <head>33.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Mit meinem Meiſter gieng ich pilgern uͤber Land,</l><lb/> <l>Wir waͤhlten einen Baum zur Raſt im Mittagsbrand.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Ein wilder Tiger kam vom Wald daher im Lauf,</l><lb/> <l>Beſinnungsloſe Furcht trieb mich den Baum hinauf.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Ich ſah von obenher, wie jener drunten ſaß,</l><lb/> <l>Und ſeinen Grimm vor ihm das wilde Thier vergaß.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Es wedelte geſchmiegt alswie ein Huͤndlein zahm,</l><lb/> <l>Und wandelte zuruͤck zum Wald, aus dem es kam.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Ich ſtieg beſchaͤmt herab, wir aber zogen weiter,</l><lb/> <l>Ein Obdach ſuchten wir bei Nacht als muͤde Schreiter.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Da war's nach Mitternacht, als eine Muͤcke ſtach</l><lb/> <l>Den Meiſter, daß er ſtoͤhnt', und ich verwundert ſprach:</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Ein Tigerrachen ließ dich geſtern unverletzt,</l><lb/> <l>Wie nun verwundet dich ein Muͤckenſtachel jetzt?</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [237/0247]
33.
Mit meinem Meiſter gieng ich pilgern uͤber Land,
Wir waͤhlten einen Baum zur Raſt im Mittagsbrand.
Ein wilder Tiger kam vom Wald daher im Lauf,
Beſinnungsloſe Furcht trieb mich den Baum hinauf.
Ich ſah von obenher, wie jener drunten ſaß,
Und ſeinen Grimm vor ihm das wilde Thier vergaß.
Es wedelte geſchmiegt alswie ein Huͤndlein zahm,
Und wandelte zuruͤck zum Wald, aus dem es kam.
Ich ſtieg beſchaͤmt herab, wir aber zogen weiter,
Ein Obdach ſuchten wir bei Nacht als muͤde Schreiter.
Da war's nach Mitternacht, als eine Muͤcke ſtach
Den Meiſter, daß er ſtoͤhnt', und ich verwundert ſprach:
Ein Tigerrachen ließ dich geſtern unverletzt,
Wie nun verwundet dich ein Muͤckenſtachel jetzt?
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