Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite
12.
Als Knabe hab' ich einst die Frucht am Baum gesehn,
Und sehe nun als Greis die Blütenknospen stehn.
Vom Menschen wird nur das, was er nicht hat, gesucht,
Der Blütentrieb vom Greis, vom Kind die reife Frucht.
Warum nach reifer Frucht das Kind begierig greift?
Weil es die Blüt' ist, die der Frucht entgegen reift.
Warum das alte Herz an jungen Trieben hängt?
Weil die getriebne Frucht zu neuen Trieben drängt.
Wo trägt die Gegenwart der Zukunft Blütenkrone?
Wo sich ein Vater sieht verjüngt in seinem Sohne.
Der Gärtner sei gelobt, der diesen Baum begießt,
Wo Frucht aus Blüt' und Blüt' aus Frucht unendlich sprießt.

12.
Als Knabe hab' ich einſt die Frucht am Baum geſehn,
Und ſehe nun als Greis die Bluͤtenknoſpen ſtehn.
Vom Menſchen wird nur das, was er nicht hat, geſucht,
Der Bluͤtentrieb vom Greis, vom Kind die reife Frucht.
Warum nach reifer Frucht das Kind begierig greift?
Weil es die Bluͤt' iſt, die der Frucht entgegen reift.
Warum das alte Herz an jungen Trieben haͤngt?
Weil die getriebne Frucht zu neuen Trieben draͤngt.
Wo traͤgt die Gegenwart der Zukunft Bluͤtenkrone?
Wo ſich ein Vater ſieht verjuͤngt in ſeinem Sohne.
Der Gaͤrtner ſei gelobt, der dieſen Baum begießt,
Wo Frucht aus Bluͤt' und Bluͤt' aus Frucht unendlich ſprießt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0023" n="13"/>
        <div n="2">
          <head>12.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Als Knabe hab' ich ein&#x017F;t die Frucht am Baum ge&#x017F;ehn,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;ehe nun als Greis die Blu&#x0364;tenkno&#x017F;pen &#x017F;tehn.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Vom Men&#x017F;chen wird nur das, was er nicht hat, ge&#x017F;ucht,</l><lb/>
              <l>Der Blu&#x0364;tentrieb vom Greis, vom Kind die reife Frucht.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Warum nach reifer Frucht das Kind begierig greift?</l><lb/>
              <l>Weil es die Blu&#x0364;t' i&#x017F;t, die der Frucht entgegen reift.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Warum das alte Herz an jungen Trieben ha&#x0364;ngt?</l><lb/>
              <l>Weil die getriebne Frucht zu neuen Trieben dra&#x0364;ngt.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Wo tra&#x0364;gt die Gegenwart der Zukunft Blu&#x0364;tenkrone?</l><lb/>
              <l>Wo &#x017F;ich ein Vater &#x017F;ieht verju&#x0364;ngt in &#x017F;einem Sohne.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Der Ga&#x0364;rtner &#x017F;ei gelobt, der die&#x017F;en Baum begießt,</l><lb/>
              <l>Wo Frucht aus Blu&#x0364;t' und Blu&#x0364;t' aus Frucht unendlich &#x017F;prießt.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0023] 12. Als Knabe hab' ich einſt die Frucht am Baum geſehn, Und ſehe nun als Greis die Bluͤtenknoſpen ſtehn. Vom Menſchen wird nur das, was er nicht hat, geſucht, Der Bluͤtentrieb vom Greis, vom Kind die reife Frucht. Warum nach reifer Frucht das Kind begierig greift? Weil es die Bluͤt' iſt, die der Frucht entgegen reift. Warum das alte Herz an jungen Trieben haͤngt? Weil die getriebne Frucht zu neuen Trieben draͤngt. Wo traͤgt die Gegenwart der Zukunft Bluͤtenkrone? Wo ſich ein Vater ſieht verjuͤngt in ſeinem Sohne. Der Gaͤrtner ſei gelobt, der dieſen Baum begießt, Wo Frucht aus Bluͤt' und Bluͤt' aus Frucht unendlich ſprießt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836/23
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836/23>, abgerufen am 21.11.2024.