Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836.65. Die Blätter, die so fest jüngst saßen an den Stielen, Ich dachte daß sie nicht vor einem Monat fielen. Frisch, hofft' ich, sollten sie tief in den Winter dauern; Auf einmal rieseln sie herab in bangen Schauern. Kein Sturm hat sie geknickt, kein Frost hat sie verletzt; Was hat sich in der Luft, im Baumsaft was zersetzt? Wodurch verkommen sind sie so auf einmal nur? Sie starben, Greisen gleich, am Nachlaß der Natur. 66. So wenig achtest du der Welt und ihres Guts, Daß, was du nicht bedarfst, du hingibst frohes Muths. Du mußt nur deinen Sinn den Weltlichen verhehlen, Sonst werden sie auch das, was du bedarfst, dir stehlen. 65. Die Blaͤtter, die ſo feſt juͤngſt ſaßen an den Stielen, Ich dachte daß ſie nicht vor einem Monat fielen. Friſch, hofft' ich, ſollten ſie tief in den Winter dauern; Auf einmal rieſeln ſie herab in bangen Schauern. Kein Sturm hat ſie geknickt, kein Froſt hat ſie verletzt; Was hat ſich in der Luft, im Baumſaft was zerſetzt? Wodurch verkommen ſind ſie ſo auf einmal nur? Sie ſtarben, Greiſen gleich, am Nachlaß der Natur. 66. So wenig achteſt du der Welt und ihres Guts, Daß, was du nicht bedarfſt, du hingibſt frohes Muths. Du mußt nur deinen Sinn den Weltlichen verhehlen, Sonſt werden ſie auch das, was du bedarfſt, dir ſtehlen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0191" n="181"/> <div n="2"> <head>65.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Die Blaͤtter, die ſo feſt juͤngſt ſaßen an den Stielen,</l><lb/> <l>Ich dachte daß ſie nicht vor einem Monat fielen.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Friſch, hofft' ich, ſollten ſie tief in den Winter dauern;</l><lb/> <l>Auf einmal rieſeln ſie herab in bangen Schauern.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Kein Sturm hat ſie geknickt, kein Froſt hat ſie verletzt;</l><lb/> <l>Was hat ſich in der Luft, im Baumſaft was zerſetzt?</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Wodurch verkommen ſind ſie ſo auf einmal nur?</l><lb/> <l>Sie ſtarben, Greiſen gleich, am Nachlaß der Natur.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>66.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>So wenig achteſt du der Welt und ihres Guts,</l><lb/> <l>Daß, was du nicht bedarfſt, du hingibſt frohes Muths.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Du mußt nur deinen Sinn den Weltlichen verhehlen,</l><lb/> <l>Sonſt werden ſie auch das, was du bedarfſt, dir ſtehlen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [181/0191]
65.
Die Blaͤtter, die ſo feſt juͤngſt ſaßen an den Stielen,
Ich dachte daß ſie nicht vor einem Monat fielen.
Friſch, hofft' ich, ſollten ſie tief in den Winter dauern;
Auf einmal rieſeln ſie herab in bangen Schauern.
Kein Sturm hat ſie geknickt, kein Froſt hat ſie verletzt;
Was hat ſich in der Luft, im Baumſaft was zerſetzt?
Wodurch verkommen ſind ſie ſo auf einmal nur?
Sie ſtarben, Greiſen gleich, am Nachlaß der Natur.
66.
So wenig achteſt du der Welt und ihres Guts,
Daß, was du nicht bedarfſt, du hingibſt frohes Muths.
Du mußt nur deinen Sinn den Weltlichen verhehlen,
Sonſt werden ſie auch das, was du bedarfſt, dir ſtehlen.
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