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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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I. Die functionelle Anpassung.

So war durch ihn zum ersten Male die Möglichkeit der
Entstehung sogenannter zweckmässiger Einrichtungen auf rein
mechanische Weise, auf dem Wege der Ausmerzung aller
sich in der Wechselwirkung der Kräfte nicht dauerfähig er-
weisenden Combinationen gefunden, und es war damit die Mög-
lichkeit einer mechanischen Entstehung des in allen seinen
Theilen so wunderbar zweckmässigen thierischen Organismus
wenigstens philosophisch nachgewiesen.

Die Zweckmässigkeit war keine gewollte, son-
dern eine gewordene, keine teleologische, sondern
eine naturhistorische, auf mechanische Weise ent-
standene; denn nicht das einem vorgefassten Zwecke
entsprechende, sondern das, was die nothwendi-
gen Eigenschaften zum Bestehen unter den gegebe-
nen Verhältnissen hatte, blieb übrig
.

Allein in diesem Sinne reden wir im Folgenden
von Zweckmässigkeit
.

Man könnte nun denken, dass dieser philosophischen Lö-
sung der Aufgabe die empirische bald hätte nachfolgen müssen.
Wer aber die Geschichte der griechischen Philosophie kennt,
weiss, wie weit die Griechen noch in ihrer Weltanschauung
gebunden waren, theils durch Mangel an Beobachtungen, theils
durch falsche Beobachtungen, aus welchen sich ganze Reihen
von Wahnvorstellungen ergaben, und dass die Fähigkeit, wirk-
lich objectiv und mit Selbstkritik zu beobachten, nur einigen
wenigen der bedeutendsten Männer zu Theil gewesen ist.

So wurde sowohl die Bedeutung der Empedocleischen Lö-
sung dieses grossen Problems nicht erkannt, geschweige denn,
dass man sie für die Specialforschung genutzt hätte. Sie ging
gänzlich verloren und musste auf dem mühsamen Wege empi-
rischer, wissenschaftlicher Detailforschung, nach langem, ver-
geblichen Suchen vieler ausgezeichneter Männer, vollkommen

I. Die functionelle Anpassung.

So war durch ihn zum ersten Male die Möglichkeit der
Entstehung sogenannter zweckmässiger Einrichtungen auf rein
mechanische Weise, auf dem Wege der Ausmerzung aller
sich in der Wechselwirkung der Kräfte nicht dauerfähig er-
weisenden Combinationen gefunden, und es war damit die Mög-
lichkeit einer mechanischen Entstehung des in allen seinen
Theilen so wunderbar zweckmässigen thierischen Organismus
wenigstens philosophisch nachgewiesen.

Die Zweckmässigkeit war keine gewollte, son-
dern eine gewordene, keine teleologische, sondern
eine naturhistorische, auf mechanische Weise ent-
standene; denn nicht das einem vorgefassten Zwecke
entsprechende, sondern das, was die nothwendi-
gen Eigenschaften zum Bestehen unter den gegebe-
nen Verhältnissen hatte, blieb übrig
.

Allein in diesem Sinne reden wir im Folgenden
von Zweckmässigkeit
.

Man könnte nun denken, dass dieser philosophischen Lö-
sung der Aufgabe die empirische bald hätte nachfolgen müssen.
Wer aber die Geschichte der griechischen Philosophie kennt,
weiss, wie weit die Griechen noch in ihrer Weltanschauung
gebunden waren, theils durch Mangel an Beobachtungen, theils
durch falsche Beobachtungen, aus welchen sich ganze Reihen
von Wahnvorstellungen ergaben, und dass die Fähigkeit, wirk-
lich objectiv und mit Selbstkritik zu beobachten, nur einigen
wenigen der bedeutendsten Männer zu Theil gewesen ist.

So wurde sowohl die Bedeutung der Empedocleïschen Lö-
sung dieses grossen Problems nicht erkannt, geschweige denn,
dass man sie für die Specialforschung genutzt hätte. Sie ging
gänzlich verloren und musste auf dem mühsamen Wege empi-
rischer, wissenschaftlicher Detailforschung, nach langem, ver-
geblichen Suchen vieler ausgezeichneter Männer, vollkommen

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[2/0016] I. Die functionelle Anpassung. So war durch ihn zum ersten Male die Möglichkeit der Entstehung sogenannter zweckmässiger Einrichtungen auf rein mechanische Weise, auf dem Wege der Ausmerzung aller sich in der Wechselwirkung der Kräfte nicht dauerfähig er- weisenden Combinationen gefunden, und es war damit die Mög- lichkeit einer mechanischen Entstehung des in allen seinen Theilen so wunderbar zweckmässigen thierischen Organismus wenigstens philosophisch nachgewiesen. Die Zweckmässigkeit war keine gewollte, son- dern eine gewordene, keine teleologische, sondern eine naturhistorische, auf mechanische Weise ent- standene; denn nicht das einem vorgefassten Zwecke entsprechende, sondern das, was die nothwendi- gen Eigenschaften zum Bestehen unter den gegebe- nen Verhältnissen hatte, blieb übrig. Allein in diesem Sinne reden wir im Folgenden von Zweckmässigkeit. Man könnte nun denken, dass dieser philosophischen Lö- sung der Aufgabe die empirische bald hätte nachfolgen müssen. Wer aber die Geschichte der griechischen Philosophie kennt, weiss, wie weit die Griechen noch in ihrer Weltanschauung gebunden waren, theils durch Mangel an Beobachtungen, theils durch falsche Beobachtungen, aus welchen sich ganze Reihen von Wahnvorstellungen ergaben, und dass die Fähigkeit, wirk- lich objectiv und mit Selbstkritik zu beobachten, nur einigen wenigen der bedeutendsten Männer zu Theil gewesen ist. So wurde sowohl die Bedeutung der Empedocleïschen Lö- sung dieses grossen Problems nicht erkannt, geschweige denn, dass man sie für die Specialforschung genutzt hätte. Sie ging gänzlich verloren und musste auf dem mühsamen Wege empi- rischer, wissenschaftlicher Detailforschung, nach langem, ver- geblichen Suchen vieler ausgezeichneter Männer, vollkommen

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/16>, abgerufen am 26.04.2024.