seits das Gesammtbild der unsichtbaren Welt, wie es die home- rische Dichtung aufgebaut hatte, der Vorstellung des Volkes sich tief einprägte, zeigt alle kommende Entwicklung griechischer Cultur und Religion. Wenn sich abweichende Vorstellungen da- neben erhielten, so zogen diese ihre Kraft nicht sowohl aus einer anders gestalteten Dogmatik als aus den Voraussetzungen des durch keine Dichterphantasie beeinflussten Cultus. Sie vor- nehmlich konnten auch wohl einmal dahin wirken, dass inmitten der Dichtung das dichterische Bild vom Reiche und Leben der Unsichtbaren eine Trübung erfuhr.
III.
Eine Probe auf die Geschlossenheit und dauerhafte Zu- sammenfügung der in homerischer Dichtung ausgebildeten Vor- stellungen von Wesen und Zuständen der abgeschiedenen Seelen wird noch innerhalb des Rahmens dieser Dichtung gemacht mit der Erzählung von der Hadesfahrt des Odysseus. Eine gefährliche Probe, sollte man denken. Wie mag sich bei einer Schilderung des Verkehrs des lebenden Helden mit den Be- wohnern des Schattenreichs das Wesenlose, Traumartige der homerischen Seelenbilder festhalten lassen, das sich entschlossener Berührung zu entziehen, jedes thätige Verhältniss zu Anderen auszuschliessen schien? Kaum versteht man, wie es einen Dichter reizen konnte, mit der Fackel der Phantasie in dieses Höhlenreich ohnmächtiger Schatten hineinzuleuchten. Man be- greift das leichter, wenn man sich deutlich macht, wie die Er- zählung entstanden, wie sie allmählich durch Zusätze von fremder Hand sich selber unähnlich geworden ist 1).
1.
Es darf als eines der wenigen sicheren Ergebnisse einer kritischen Analyse der homerischen Gedichte betrachtet werden,
1) S. Anhang 4.
seits das Gesammtbild der unsichtbaren Welt, wie es die home- rische Dichtung aufgebaut hatte, der Vorstellung des Volkes sich tief einprägte, zeigt alle kommende Entwicklung griechischer Cultur und Religion. Wenn sich abweichende Vorstellungen da- neben erhielten, so zogen diese ihre Kraft nicht sowohl aus einer anders gestalteten Dogmatik als aus den Voraussetzungen des durch keine Dichterphantasie beeinflussten Cultus. Sie vor- nehmlich konnten auch wohl einmal dahin wirken, dass inmitten der Dichtung das dichterische Bild vom Reiche und Leben der Unsichtbaren eine Trübung erfuhr.
III.
Eine Probe auf die Geschlossenheit und dauerhafte Zu- sammenfügung der in homerischer Dichtung ausgebildeten Vor- stellungen von Wesen und Zuständen der abgeschiedenen Seelen wird noch innerhalb des Rahmens dieser Dichtung gemacht mit der Erzählung von der Hadesfahrt des Odysseus. Eine gefährliche Probe, sollte man denken. Wie mag sich bei einer Schilderung des Verkehrs des lebenden Helden mit den Be- wohnern des Schattenreichs das Wesenlose, Traumartige der homerischen Seelenbilder festhalten lassen, das sich entschlossener Berührung zu entziehen, jedes thätige Verhältniss zu Anderen auszuschliessen schien? Kaum versteht man, wie es einen Dichter reizen konnte, mit der Fackel der Phantasie in dieses Höhlenreich ohnmächtiger Schatten hineinzuleuchten. Man be- greift das leichter, wenn man sich deutlich macht, wie die Er- zählung entstanden, wie sie allmählich durch Zusätze von fremder Hand sich selber unähnlich geworden ist 1).
1.
Es darf als eines der wenigen sicheren Ergebnisse einer kritischen Analyse der homerischen Gedichte betrachtet werden,
1) S. Anhang 4.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0061"n="45"/>
seits das Gesammtbild der unsichtbaren Welt, wie es die home-<lb/>
rische Dichtung aufgebaut hatte, der Vorstellung des Volkes sich<lb/>
tief einprägte, zeigt alle kommende Entwicklung griechischer<lb/>
Cultur und Religion. Wenn sich abweichende Vorstellungen da-<lb/>
neben erhielten, so zogen diese ihre Kraft nicht sowohl aus einer<lb/>
anders gestalteten Dogmatik als aus den Voraussetzungen des<lb/>
durch keine Dichterphantasie beeinflussten Cultus. Sie vor-<lb/>
nehmlich konnten auch wohl einmal dahin wirken, dass inmitten<lb/>
der Dichtung das dichterische Bild vom Reiche und Leben der<lb/>
Unsichtbaren eine Trübung erfuhr.</p></div></div><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b">III.</hi></head><lb/><p>Eine Probe auf die Geschlossenheit und dauerhafte Zu-<lb/>
sammenfügung der in homerischer Dichtung ausgebildeten Vor-<lb/>
stellungen von Wesen und Zuständen der abgeschiedenen Seelen<lb/>
wird noch innerhalb des Rahmens dieser Dichtung gemacht<lb/>
mit der Erzählung von der <hirendition="#g">Hadesfahrt des Odysseus</hi>. Eine<lb/>
gefährliche Probe, sollte man denken. Wie mag sich bei einer<lb/>
Schilderung des Verkehrs des lebenden Helden mit den Be-<lb/>
wohnern des Schattenreichs das Wesenlose, Traumartige der<lb/>
homerischen Seelenbilder festhalten lassen, das sich entschlossener<lb/>
Berührung zu entziehen, jedes thätige Verhältniss zu Anderen<lb/>
auszuschliessen schien? Kaum versteht man, wie es einen<lb/>
Dichter reizen konnte, mit der Fackel der Phantasie in dieses<lb/>
Höhlenreich ohnmächtiger Schatten hineinzuleuchten. Man be-<lb/>
greift das leichter, wenn man sich deutlich macht, wie die Er-<lb/>
zählung entstanden, wie sie allmählich durch Zusätze von fremder<lb/>
Hand sich selber unähnlich geworden ist <noteplace="foot"n="1)">S. Anhang 4.</note>.</p><lb/><divn="3"><head>1.</head><lb/><p>Es darf als eines der wenigen sicheren Ergebnisse einer<lb/>
kritischen Analyse der homerischen Gedichte betrachtet werden,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[45/0061]
seits das Gesammtbild der unsichtbaren Welt, wie es die home-
rische Dichtung aufgebaut hatte, der Vorstellung des Volkes sich
tief einprägte, zeigt alle kommende Entwicklung griechischer
Cultur und Religion. Wenn sich abweichende Vorstellungen da-
neben erhielten, so zogen diese ihre Kraft nicht sowohl aus einer
anders gestalteten Dogmatik als aus den Voraussetzungen des
durch keine Dichterphantasie beeinflussten Cultus. Sie vor-
nehmlich konnten auch wohl einmal dahin wirken, dass inmitten
der Dichtung das dichterische Bild vom Reiche und Leben der
Unsichtbaren eine Trübung erfuhr.
III.
Eine Probe auf die Geschlossenheit und dauerhafte Zu-
sammenfügung der in homerischer Dichtung ausgebildeten Vor-
stellungen von Wesen und Zuständen der abgeschiedenen Seelen
wird noch innerhalb des Rahmens dieser Dichtung gemacht
mit der Erzählung von der Hadesfahrt des Odysseus. Eine
gefährliche Probe, sollte man denken. Wie mag sich bei einer
Schilderung des Verkehrs des lebenden Helden mit den Be-
wohnern des Schattenreichs das Wesenlose, Traumartige der
homerischen Seelenbilder festhalten lassen, das sich entschlossener
Berührung zu entziehen, jedes thätige Verhältniss zu Anderen
auszuschliessen schien? Kaum versteht man, wie es einen
Dichter reizen konnte, mit der Fackel der Phantasie in dieses
Höhlenreich ohnmächtiger Schatten hineinzuleuchten. Man be-
greift das leichter, wenn man sich deutlich macht, wie die Er-
zählung entstanden, wie sie allmählich durch Zusätze von fremder
Hand sich selber unähnlich geworden ist 1).
1.
Es darf als eines der wenigen sicheren Ergebnisse einer
kritischen Analyse der homerischen Gedichte betrachtet werden,
1) S. Anhang 4.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/61>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.