Und Zeugnisse dieses alten Glaubens können wir jetzt mit Augen sehen und mit Händen greifen. Durch unschätzbare Glücksfügungen ist es uns verstattet, in eine ferne Vorzeit des Griechenthums einen Blick zu thun, auf deren Hintergrund Homer, nun nicht mehr der früheste Zeuge von griechischem Leben und Glauben, uns plötzlich viel näher als bisher, vielleicht trügerisch nahe gerückt erscheint. Das letzte Jahr- zehent hat auf der Burg und in der Unterstadt Mykenae, an anderen Orten des Peloponnes, in Attika und bis nach Thessalien hinauf Gräber erschlossen, Schachte, Kammern und kunstreiche Gewölbe, die in der Zeit vor der dorischen Wande- rung gebaut und zugemauert sind. Diese Gräber lehren uns, dass (worauf selbst in Homers Gedichten einzelne Spuren führen) 1) dem homerischen "Brennalter" auch bei den Griechen 2) eine Zeit voranging, in der, wie einst auch bei Persern, Indern, Deutschen, die Todten unversehrt begraben wurden. Begraben sind die Fürsten und Frauen der goldreichen Mykene, nicht minder (in den Gräbern bei Nauplia, in Attika u. s. w.) geringeres Volk. Den Fürsten ist reicher Vorrath an kostbarem Geräth und Schmuck mitgegeben, unverbrannt, wie ihre eigenen Leichen nicht verbrannt worden sind; sie ruhen auf Kieseln, und sind mit einer Lehmschicht und Kiesellage bedeckt 3); Spuren von Rauch, Reste von Asche und Kohlen weisen darauf hin, dass man die Körper gebettet hat auf die Brandstelle der Todten- opfer, die man in dem Grabraume vorher dargebracht hatte 4). Dies mag uralter Bestattungsgebrauch sein. In den ältesten unserer "Hünengräber", deren Schätze noch keinerlei Metall zeigen, und die man darum für vorgermanisch halten will, hat man gleiche Anlage gefunden. Auf dem Boden, bisweilen auf einer gelegten Schicht von Feuersteinen ist der Opferbrand ent-
1) S. Helbig, D. homer. Epos a. d. Denkm. erl. p. 42 f.
2) S. Anhang 3.
3) S. Schliemann, Mykenae S. 181; 192; 247; 248.
4) S. Helbig, D. homer. Epos2 p. 52.
8.
Und Zeugnisse dieses alten Glaubens können wir jetzt mit Augen sehen und mit Händen greifen. Durch unschätzbare Glücksfügungen ist es uns verstattet, in eine ferne Vorzeit des Griechenthums einen Blick zu thun, auf deren Hintergrund Homer, nun nicht mehr der früheste Zeuge von griechischem Leben und Glauben, uns plötzlich viel näher als bisher, vielleicht trügerisch nahe gerückt erscheint. Das letzte Jahr- zehent hat auf der Burg und in der Unterstadt Mykenae, an anderen Orten des Peloponnes, in Attika und bis nach Thessalien hinauf Gräber erschlossen, Schachte, Kammern und kunstreiche Gewölbe, die in der Zeit vor der dorischen Wande- rung gebaut und zugemauert sind. Diese Gräber lehren uns, dass (worauf selbst in Homers Gedichten einzelne Spuren führen) 1) dem homerischen „Brennalter“ auch bei den Griechen 2) eine Zeit voranging, in der, wie einst auch bei Persern, Indern, Deutschen, die Todten unversehrt begraben wurden. Begraben sind die Fürsten und Frauen der goldreichen Mykene, nicht minder (in den Gräbern bei Nauplia, in Attika u. s. w.) geringeres Volk. Den Fürsten ist reicher Vorrath an kostbarem Geräth und Schmuck mitgegeben, unverbrannt, wie ihre eigenen Leichen nicht verbrannt worden sind; sie ruhen auf Kieseln, und sind mit einer Lehmschicht und Kiesellage bedeckt 3); Spuren von Rauch, Reste von Asche und Kohlen weisen darauf hin, dass man die Körper gebettet hat auf die Brandstelle der Todten- opfer, die man in dem Grabraume vorher dargebracht hatte 4). Dies mag uralter Bestattungsgebrauch sein. In den ältesten unserer „Hünengräber“, deren Schätze noch keinerlei Metall zeigen, und die man darum für vorgermanisch halten will, hat man gleiche Anlage gefunden. Auf dem Boden, bisweilen auf einer gelegten Schicht von Feuersteinen ist der Opferbrand ent-
1) S. Helbig, D. homer. Epos a. d. Denkm. erl. p. 42 f.
2) S. Anhang 3.
3) S. Schliemann, Mykenae S. 181; 192; 247; 248.
4) S. Helbig, D. homer. Epos2 p. 52.
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Und Zeugnisse dieses alten Glaubens können wir jetzt mit
Augen sehen und mit Händen greifen. Durch unschätzbare
Glücksfügungen ist es uns verstattet, in eine ferne Vorzeit des
Griechenthums einen Blick zu thun, auf deren Hintergrund
Homer, nun nicht mehr der früheste Zeuge von griechischem
Leben und Glauben, uns plötzlich viel näher als bisher,
vielleicht trügerisch nahe gerückt erscheint. Das letzte Jahr-
zehent hat auf der Burg und in der Unterstadt Mykenae, an
anderen Orten des Peloponnes, in Attika und bis nach
Thessalien hinauf Gräber erschlossen, Schachte, Kammern und
kunstreiche Gewölbe, die in der Zeit vor der dorischen Wande-
rung gebaut und zugemauert sind. Diese Gräber lehren uns,
dass (worauf selbst in Homers Gedichten einzelne Spuren
führen) 1) dem homerischen „Brennalter“ auch bei den Griechen 2)
eine Zeit voranging, in der, wie einst auch bei Persern, Indern,
Deutschen, die Todten unversehrt begraben wurden. Begraben
sind die Fürsten und Frauen der goldreichen Mykene, nicht
minder (in den Gräbern bei Nauplia, in Attika u. s. w.) geringeres
Volk. Den Fürsten ist reicher Vorrath an kostbarem Geräth
und Schmuck mitgegeben, unverbrannt, wie ihre eigenen Leichen
nicht verbrannt worden sind; sie ruhen auf Kieseln, und sind
mit einer Lehmschicht und Kiesellage bedeckt 3); Spuren von
Rauch, Reste von Asche und Kohlen weisen darauf hin, dass
man die Körper gebettet hat auf die Brandstelle der Todten-
opfer, die man in dem Grabraume vorher dargebracht hatte 4).
Dies mag uralter Bestattungsgebrauch sein. In den ältesten
unserer „Hünengräber“, deren Schätze noch keinerlei Metall
zeigen, und die man darum für vorgermanisch halten will, hat
man gleiche Anlage gefunden. Auf dem Boden, bisweilen auf
einer gelegten Schicht von Feuersteinen ist der Opferbrand ent-
1) S. Helbig, D. homer. Epos a. d. Denkm. erl. p. 42 f.
2) S. Anhang 3.
3) S. Schliemann, Mykenae S. 181; 192; 247; 248.
4) S. Helbig, D. homer. Epos2 p. 52.
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/47>, abgerufen am 22.12.2024.
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