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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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zernagt. Dies ist eine Parodie, halb scherzhaft, halb weh-
müthig, auf jene homerischen Gestalten des Sisyphos und
Tantalos, ein kleinbürgerliches Gegenstück zu jener homerischen
Aristokratie der Götterfeinde, deren Strafen nach Goethes
Bemerkung Abbildungen ewig fruchtlosen Bemühens sind.
Aber was hat der gute Oknos begangen, dass auch ihn dieses
Schicksal ewig zielloser Mühen trifft? Er ist ein Mensch wie
andere. "Der bildet ab das menschliche Bestreben". Dass
man solche Gestalten eines harmlos sinnreichen Witzes in den
Hades versetzen mochte, zeigt, wie weit man von schwerem
theologischen Ernst entfernt war.

4.

Anschaulich müsste die Wandlung der Vorstellungen vom
jenseitigen Leben seit Homers Zeiten uns entgegentreten in
dem Bilde der Unterwelt, mit dem Polygnot von Thasos die
eine Wand der Halle der Knidier zu Delphi geschmückt
hatte. Den Inhalt dieser malerischen Schilderung kennen wir
ja genau aus dem Berichte des Pausanias. Da ist nun über-
raschend wahrzunehmen, wie schwach in dieser Zeit, um die
Mitte des fünften Jahrhunderts, die Höllenmythologie entwickelt
war. Dargestellt war die Befragung des Tiresias durch Odysseus;
die Schaaren der Heroen und Heroinen der Dichtung nahmen
daher den breitesten Raum ein. Die Strafgerechtigkeit der
Götter illustrirten die Gestalten der homerischen "Büsser",
Tityos, Tantalos, Sisyphos. Aus der heroischen Gesellschaft
heraus führt Oknos mit seiner Eselin. Nun aber der Lohn
der Tugend, die Strafe der Uebelthaten? Die schlimmsten
Vergehungen, gegen Götter und Eltern, werden geahndet an
einem Tempelräuber, dem eine Zauberin Gift zu trinken giebt 1),
und einem pietätlosen Sohne, den der eigne Vater würgt 2).

1) So wird man ja wohl die Worte verstehen müssen, mit denen
Pausanias (10, 28, 5), nach seiner albernen Manier, den Vorgang um-
schreibt, statt ihn einfach zu beschreiben.
2) Paus. 10, 28, 4.
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zernagt. Dies ist eine Parodie, halb scherzhaft, halb weh-
müthig, auf jene homerischen Gestalten des Sisyphos und
Tantalos, ein kleinbürgerliches Gegenstück zu jener homerischen
Aristokratie der Götterfeinde, deren Strafen nach Goethes
Bemerkung Abbildungen ewig fruchtlosen Bemühens sind.
Aber was hat der gute Oknos begangen, dass auch ihn dieses
Schicksal ewig zielloser Mühen trifft? Er ist ein Mensch wie
andere. „Der bildet ab das menschliche Bestreben“. Dass
man solche Gestalten eines harmlos sinnreichen Witzes in den
Hades versetzen mochte, zeigt, wie weit man von schwerem
theologischen Ernst entfernt war.

4.

Anschaulich müsste die Wandlung der Vorstellungen vom
jenseitigen Leben seit Homers Zeiten uns entgegentreten in
dem Bilde der Unterwelt, mit dem Polygnot von Thasos die
eine Wand der Halle der Knidier zu Delphi geschmückt
hatte. Den Inhalt dieser malerischen Schilderung kennen wir
ja genau aus dem Berichte des Pausanias. Da ist nun über-
raschend wahrzunehmen, wie schwach in dieser Zeit, um die
Mitte des fünften Jahrhunderts, die Höllenmythologie entwickelt
war. Dargestellt war die Befragung des Tiresias durch Odysseus;
die Schaaren der Heroen und Heroïnen der Dichtung nahmen
daher den breitesten Raum ein. Die Strafgerechtigkeit der
Götter illustrirten die Gestalten der homerischen „Büsser“,
Tityos, Tantalos, Sisyphos. Aus der heroischen Gesellschaft
heraus führt Oknos mit seiner Eselin. Nun aber der Lohn
der Tugend, die Strafe der Uebelthaten? Die schlimmsten
Vergehungen, gegen Götter und Eltern, werden geahndet an
einem Tempelräuber, dem eine Zauberin Gift zu trinken giebt 1),
und einem pietätlosen Sohne, den der eigne Vater würgt 2).

1) So wird man ja wohl die Worte verstehen müssen, mit denen
Pausanias (10, 28, 5), nach seiner albernen Manier, den Vorgang um-
schreibt, statt ihn einfach zu beschreiben.
2) Paus. 10, 28, 4.
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[291/0307] zernagt. Dies ist eine Parodie, halb scherzhaft, halb weh- müthig, auf jene homerischen Gestalten des Sisyphos und Tantalos, ein kleinbürgerliches Gegenstück zu jener homerischen Aristokratie der Götterfeinde, deren Strafen nach Goethes Bemerkung Abbildungen ewig fruchtlosen Bemühens sind. Aber was hat der gute Oknos begangen, dass auch ihn dieses Schicksal ewig zielloser Mühen trifft? Er ist ein Mensch wie andere. „Der bildet ab das menschliche Bestreben“. Dass man solche Gestalten eines harmlos sinnreichen Witzes in den Hades versetzen mochte, zeigt, wie weit man von schwerem theologischen Ernst entfernt war. 4. Anschaulich müsste die Wandlung der Vorstellungen vom jenseitigen Leben seit Homers Zeiten uns entgegentreten in dem Bilde der Unterwelt, mit dem Polygnot von Thasos die eine Wand der Halle der Knidier zu Delphi geschmückt hatte. Den Inhalt dieser malerischen Schilderung kennen wir ja genau aus dem Berichte des Pausanias. Da ist nun über- raschend wahrzunehmen, wie schwach in dieser Zeit, um die Mitte des fünften Jahrhunderts, die Höllenmythologie entwickelt war. Dargestellt war die Befragung des Tiresias durch Odysseus; die Schaaren der Heroen und Heroïnen der Dichtung nahmen daher den breitesten Raum ein. Die Strafgerechtigkeit der Götter illustrirten die Gestalten der homerischen „Büsser“, Tityos, Tantalos, Sisyphos. Aus der heroischen Gesellschaft heraus führt Oknos mit seiner Eselin. Nun aber der Lohn der Tugend, die Strafe der Uebelthaten? Die schlimmsten Vergehungen, gegen Götter und Eltern, werden geahndet an einem Tempelräuber, dem eine Zauberin Gift zu trinken giebt 1), und einem pietätlosen Sohne, den der eigne Vater würgt 2). 1) So wird man ja wohl die Worte verstehen müssen, mit denen Pausanias (10, 28, 5), nach seiner albernen Manier, den Vorgang um- schreibt, statt ihn einfach zu beschreiben. 2) Paus. 10, 28, 4. 19*

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/307>, abgerufen am 21.11.2024.