lich spukhaft wirkenden Seelengeistern, vor deren unheimlichem Treiben der Aberglaube aller Zeiten zittert. Der Lebende hat Ruhe vor den Todten. Es herrschen in der Welt nur die Götter, keine blassen Gespenster, sondern leibhaft fest gegründete Gestalten, durch alle Weiten wirkend, wohnhaft auf heiterer Berghöhe "und hell läuft drüber der Glanz hin". Keine dämo- nische Macht ist neben ihnen, ihnen zuwider, wirksam; auch die Nacht giebt die entflogenen Seelen der Verstorbenen nicht frei. Man erschrickt unwillkürlich, und spürt schon die Witte- rung einer andern Zeit, wenn man in einer, von später Hand eingedichteten Partie des 20. Buches der Odyssee erzählt findet, wie kurz vor dem Ende der Freier der hellsichtige Wahrsager in Halle und Vorhof schweben sieht in Schaaren die Seelen- gestalten (Eidola), die hinabstreben in das Dunkel unter der Erde; die Sonne erlischt am Himmel und schlimmes Dunkel schleicht herauf. Das Grauen einer tragischen Vorahnung hat dieser Spätling sehr wirksam hervorzurufen verstanden, aber solches Grauen vor gespenstischem Geistertreiben ist nicht mehr homerisch.
4.
Waren die Griechen von jeher so frei von aller Beängsti- gung durch die Seelen der Verstorbenen? Haben sie nie den abgeschiedenen Seelen einen Cultus gewidmet, wie ihn die "Naturvölker" der ganzen Erde kennen, wie er aber auch den Urverwandten des Griechenvolkes, den Indern, den Persern, wohl vertraut war? Die Frage und ihre Beantwortung hat ein allgemeineres Interesse. In späterer Zeit, lange nach Homer, finden wir auch in Griechenland einen lebhaften Ahnencult, ein allgemeiner Seelencult ist in Uebung. Wenn sich beweisen liesse -- was man meist ohne Beweis annimmt -- dass so spät erst unter Griechen eine religiöse Verehrung der Seelen sich zum ersten Mal entwickelt habe, so könnte man hier eine starke Unterstützung der oft geäusserten Meinung, nach welcher Seelencult erst aus dem Verfall ursprünglichen Göttercultes
lich spukhaft wirkenden Seelengeistern, vor deren unheimlichem Treiben der Aberglaube aller Zeiten zittert. Der Lebende hat Ruhe vor den Todten. Es herrschen in der Welt nur die Götter, keine blassen Gespenster, sondern leibhaft fest gegründete Gestalten, durch alle Weiten wirkend, wohnhaft auf heiterer Berghöhe „und hell läuft drüber der Glanz hin“. Keine dämo- nische Macht ist neben ihnen, ihnen zuwider, wirksam; auch die Nacht giebt die entflogenen Seelen der Verstorbenen nicht frei. Man erschrickt unwillkürlich, und spürt schon die Witte- rung einer andern Zeit, wenn man in einer, von später Hand eingedichteten Partie des 20. Buches der Odyssee erzählt findet, wie kurz vor dem Ende der Freier der hellsichtige Wahrsager in Halle und Vorhof schweben sieht in Schaaren die Seelen- gestalten (Eidola), die hinabstreben in das Dunkel unter der Erde; die Sonne erlischt am Himmel und schlimmes Dunkel schleicht herauf. Das Grauen einer tragischen Vorahnung hat dieser Spätling sehr wirksam hervorzurufen verstanden, aber solches Grauen vor gespenstischem Geistertreiben ist nicht mehr homerisch.
4.
Waren die Griechen von jeher so frei von aller Beängsti- gung durch die Seelen der Verstorbenen? Haben sie nie den abgeschiedenen Seelen einen Cultus gewidmet, wie ihn die „Naturvölker“ der ganzen Erde kennen, wie er aber auch den Urverwandten des Griechenvolkes, den Indern, den Persern, wohl vertraut war? Die Frage und ihre Beantwortung hat ein allgemeineres Interesse. In späterer Zeit, lange nach Homer, finden wir auch in Griechenland einen lebhaften Ahnencult, ein allgemeiner Seelencult ist in Uebung. Wenn sich beweisen liesse — was man meist ohne Beweis annimmt — dass so spät erst unter Griechen eine religiöse Verehrung der Seelen sich zum ersten Mal entwickelt habe, so könnte man hier eine starke Unterstützung der oft geäusserten Meinung, nach welcher Seelencult erst aus dem Verfall ursprünglichen Göttercultes
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lich spukhaft wirkenden Seelengeistern, vor deren unheimlichem
Treiben der Aberglaube aller Zeiten zittert. Der Lebende
hat Ruhe vor den Todten. Es herrschen in der Welt nur die
Götter, keine blassen Gespenster, sondern leibhaft fest gegründete
Gestalten, durch alle Weiten wirkend, wohnhaft auf heiterer
Berghöhe „und hell läuft drüber der Glanz hin“. Keine dämo-
nische Macht ist neben ihnen, ihnen zuwider, wirksam; auch
die Nacht giebt die entflogenen Seelen der Verstorbenen nicht
frei. Man erschrickt unwillkürlich, und spürt schon die Witte-
rung einer andern Zeit, wenn man in einer, von später Hand
eingedichteten Partie des 20. Buches der Odyssee erzählt findet,
wie kurz vor dem Ende der Freier der hellsichtige Wahrsager
in Halle und Vorhof schweben sieht in Schaaren die Seelen-
gestalten (Eidola), die hinabstreben in das Dunkel unter der
Erde; die Sonne erlischt am Himmel und schlimmes Dunkel
schleicht herauf. Das Grauen einer tragischen Vorahnung hat
dieser Spätling sehr wirksam hervorzurufen verstanden, aber
solches Grauen vor gespenstischem Geistertreiben ist nicht mehr
homerisch.
4.
Waren die Griechen von jeher so frei von aller Beängsti-
gung durch die Seelen der Verstorbenen? Haben sie nie den
abgeschiedenen Seelen einen Cultus gewidmet, wie ihn die
„Naturvölker“ der ganzen Erde kennen, wie er aber auch den
Urverwandten des Griechenvolkes, den Indern, den Persern,
wohl vertraut war? Die Frage und ihre Beantwortung hat
ein allgemeineres Interesse. In späterer Zeit, lange nach Homer,
finden wir auch in Griechenland einen lebhaften Ahnencult, ein
allgemeiner Seelencult ist in Uebung. Wenn sich beweisen
liesse — was man meist ohne Beweis annimmt — dass so
spät erst unter Griechen eine religiöse Verehrung der Seelen
sich zum ersten Mal entwickelt habe, so könnte man hier eine
starke Unterstützung der oft geäusserten Meinung, nach welcher
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/27>, abgerufen am 21.11.2024.
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