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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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3.

Wie aller Cult hat es der Seelencult mehr zu thun mit
dem Verhältniss des Dämons zu den Lebenden als mit dessen
Natur und Wesen, wie sie etwa an und für sich betrachtet
sich darstellen mögen. Eine dogmatische Bestimmung dieses
Wesens fordert er nicht und bietet er nicht. Doch liegt eine
allgemeine Vorstellung von der Natur der abgeschiedenen Seele,
die sich nur genauer Formulirung entzieht, dem Cult zu Grunde.
Man bringt den Seelen Opfer, wie den Göttern1) und Heroen
auch, weil man in ihnen unsichtbar Mächtige2) sieht, eine be-
sondere Art der "Seligen", wie man schon im 5. Jahrhundert
die Verstorbenen nannte. Man will sie gnädig stimmen3), oder
auch ihren leicht gereizten Zorn4) abwenden. Man hofft auf

non ede gegonoton. (Chilon Stob. flor. 125, 15: ton teteleutekota me kako-
logei, alla makarize). Ein ganz besonders schlimmer Frevel ist es, pseu-
sasthai kata tou teleutesantos: Isaeus 9, 6. 23. 26. Der Erbe des Ver-
storbenen hat, wie ihm der Seelencult für jenen überhaupt Pflicht ist, den
Verleumder desselben gerichtlich zu verfolgen (s. Meier und Schömann, Att.
Process
2 p. 630).
1) Von den Todten sagt Aristoph. Tagenist. fr. 1, 12 Bgk: kai thuo-
men g' autoisi tois enagismasin, osper theoisi ktl.
2) kreittones: Hesych. Phot. s. v. Aristoteles bei Plut. cons. ad
Apoll.
27.
3) ileos ekhein (tous teleutesantas): Plato Rep. 4, 427 B.
4) Dass die eroes dusorgetoi kai khalepoi tois
empelazousi gignontai
(Schol. Arist. Av. 1490) gilt, wie von den eigentlich so genannten "Heroen"
(s. oben S. 178 ff. die Legenden vom Heros Anagyros, dem Heros zu Temesa
u. s. w.), auch von den in ungenauer, später allgemein üblich gewordener Be-
zeichnung "Heroen" genannten Seelen der Todten überhaupt -- khalepous
kai plektas tous eroas nomizousi, kai mallon nuktor e meth emeran: Cha-
maeleon bei Athen. 11, 461 C (daher die Vorkehrung gegen nächtlich be-
gegnende Gespenster: Athen. 4, 149 C). Vgl. Zenob. 5, 60. Hesych.
Phot. s. kreittones. -- Dass die eroes nur Schlimmes thun und senden
können, nichts Gutes (Schol. Ar. Av. 1490; Babrius fab. 63) ist später
Glaube; weder für Heroen noch für gewöhnliche Todte gilt dies im Glau-
ben älterer Zeiten. Die Vorstellung von der schadenfrohen, gewaltthätigen
Natur der Unsichtbaren, ursprünglich auf "Götter" so gut bezüglich wie
auf Heroen und Seelen, ist mehr und mehr auf die unteren Klassen der
kreittones beschränkt worden, und haftet zuletzt an diesen so ausschliess-
lich, dass sie als wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen ihnen
Rohde, Seelencult. 15
3.

Wie aller Cult hat es der Seelencult mehr zu thun mit
dem Verhältniss des Dämons zu den Lebenden als mit dessen
Natur und Wesen, wie sie etwa an und für sich betrachtet
sich darstellen mögen. Eine dogmatische Bestimmung dieses
Wesens fordert er nicht und bietet er nicht. Doch liegt eine
allgemeine Vorstellung von der Natur der abgeschiedenen Seele,
die sich nur genauer Formulirung entzieht, dem Cult zu Grunde.
Man bringt den Seelen Opfer, wie den Göttern1) und Heroen
auch, weil man in ihnen unsichtbar Mächtige2) sieht, eine be-
sondere Art der „Seligen“, wie man schon im 5. Jahrhundert
die Verstorbenen nannte. Man will sie gnädig stimmen3), oder
auch ihren leicht gereizten Zorn4) abwenden. Man hofft auf

νων ἤδη γεγονότων. (Chilon Stob. flor. 125, 15: τὸν τετελευτηκότα μὴ κακο-
λόγει, ἀλλὰ μακάριζε). Ein ganz besonders schlimmer Frevel ist es, ψεύ-
σασϑαι κατὰ τοῦ τελευτήσαντος: Isaeus 9, 6. 23. 26. Der Erbe des Ver-
storbenen hat, wie ihm der Seelencult für jenen überhaupt Pflicht ist, den
Verleumder desselben gerichtlich zu verfolgen (s. Meier und Schömann, Att.
Process
2 p. 630).
1) Von den Todten sagt Aristoph. Tagenist. fr. 1, 12 Bgk: καὶ ϑύο-
μέν γ᾽ αὐτοῖσι τοῖς ἐναγίσμασιν, ὥσπερ ϑεοῖσι κτλ.
2) κρείττονες: Hesych. Phot. s. v. Aristoteles bei Plut. cons. ad
Apoll.
27.
3) ἵλεως ἔχειν (τοὺς τελευτήσαντας): Plato Rep. 4, 427 B.
4) Dass die ἥρωες δυσόργητοι καὶ χαλεποὶ τοῖς
ἐμπελάζουσι γίγνονται
(Schol. Arist. Av. 1490) gilt, wie von den eigentlich so genannten „Heroen“
(s. oben S. 178 ff. die Legenden vom Heros Anagyros, dem Heros zu Temesa
u. s. w.), auch von den in ungenauer, später allgemein üblich gewordener Be-
zeichnung „Heroen“ genannten Seelen der Todten überhaupt — χαλεποὺς
καὶ πλήκτας τοὺς ἥρωας νομίζουσι, καὶ μᾶλλον νύκτωρ ἢ μεϑ̕ ἡμέραν: Cha-
maeleon bei Athen. 11, 461 C (daher die Vorkehrung gegen nächtlich be-
gegnende Gespenster: Athen. 4, 149 C). Vgl. Zenob. 5, 60. Hesych.
Phot. s. κρείττονες. — Dass die ἥρωες nur Schlimmes thun und senden
können, nichts Gutes (Schol. Ar. Av. 1490; Babrius fab. 63) ist später
Glaube; weder für Heroen noch für gewöhnliche Todte gilt dies im Glau-
ben älterer Zeiten. Die Vorstellung von der schadenfrohen, gewaltthätigen
Natur der Unsichtbaren, ursprünglich auf „Götter“ so gut bezüglich wie
auf Heroen und Seelen, ist mehr und mehr auf die unteren Klassen der
κρείττονες beschränkt worden, und haftet zuletzt an diesen so ausschliess-
lich, dass sie als wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen ihnen
Rohde, Seelencult. 15
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[225/0241] 3. Wie aller Cult hat es der Seelencult mehr zu thun mit dem Verhältniss des Dämons zu den Lebenden als mit dessen Natur und Wesen, wie sie etwa an und für sich betrachtet sich darstellen mögen. Eine dogmatische Bestimmung dieses Wesens fordert er nicht und bietet er nicht. Doch liegt eine allgemeine Vorstellung von der Natur der abgeschiedenen Seele, die sich nur genauer Formulirung entzieht, dem Cult zu Grunde. Man bringt den Seelen Opfer, wie den Göttern 1) und Heroen auch, weil man in ihnen unsichtbar Mächtige 2) sieht, eine be- sondere Art der „Seligen“, wie man schon im 5. Jahrhundert die Verstorbenen nannte. Man will sie gnädig stimmen 3), oder auch ihren leicht gereizten Zorn 4) abwenden. Man hofft auf 2) 1) Von den Todten sagt Aristoph. Tagenist. fr. 1, 12 Bgk: καὶ ϑύο- μέν γ᾽ αὐτοῖσι τοῖς ἐναγίσμασιν, ὥσπερ ϑεοῖσι κτλ. 2) κρείττονες: Hesych. Phot. s. v. Aristoteles bei Plut. cons. ad Apoll. 27. 3) ἵλεως ἔχειν (τοὺς τελευτήσαντας): Plato Rep. 4, 427 B. 4) Dass die ἥρωες δυσόργητοι καὶ χαλεποὶ τοῖς ἐμπελάζουσι γίγνονται (Schol. Arist. Av. 1490) gilt, wie von den eigentlich so genannten „Heroen“ (s. oben S. 178 ff. die Legenden vom Heros Anagyros, dem Heros zu Temesa u. s. w.), auch von den in ungenauer, später allgemein üblich gewordener Be- zeichnung „Heroen“ genannten Seelen der Todten überhaupt — χαλεποὺς καὶ πλήκτας τοὺς ἥρωας νομίζουσι, καὶ μᾶλλον νύκτωρ ἢ μεϑ̕ ἡμέραν: Cha- maeleon bei Athen. 11, 461 C (daher die Vorkehrung gegen nächtlich be- gegnende Gespenster: Athen. 4, 149 C). Vgl. Zenob. 5, 60. Hesych. Phot. s. κρείττονες. — Dass die ἥρωες nur Schlimmes thun und senden können, nichts Gutes (Schol. Ar. Av. 1490; Babrius fab. 63) ist später Glaube; weder für Heroen noch für gewöhnliche Todte gilt dies im Glau- ben älterer Zeiten. Die Vorstellung von der schadenfrohen, gewaltthätigen Natur der Unsichtbaren, ursprünglich auf „Götter“ so gut bezüglich wie auf Heroen und Seelen, ist mehr und mehr auf die unteren Klassen der κρείττονες beschränkt worden, und haftet zuletzt an diesen so ausschliess- lich, dass sie als wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen ihnen 2) νων ἤδη γεγονότων. (Chilon Stob. flor. 125, 15: τὸν τετελευτηκότα μὴ κακο- λόγει, ἀλλὰ μακάριζε). Ein ganz besonders schlimmer Frevel ist es, ψεύ- σασϑαι κατὰ τοῦ τελευτήσαντος: Isaeus 9, 6. 23. 26. Der Erbe des Ver- storbenen hat, wie ihm der Seelencult für jenen überhaupt Pflicht ist, den Verleumder desselben gerichtlich zu verfolgen (s. Meier und Schömann, Att. Process2 p. 630). Rohde, Seelencult. 15

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/241>, abgerufen am 21.11.2024.