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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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sind wir doch zu der Annahme berechtigt, daß sie nicht ver-
gebens geschrieben wurden, wenn auch die Saat, die sie aus-
streuten, erst spät aufging. Denn fast alle die Reformideen,
welche fast ein Menschenalter nach ihnen, die Czartoryski und
Poniatowski praktisch einzuführen versuchten, welche dann gegen
das Ende des Jahrhunderts die Führer des sogenannten vier-
jährigen Reichstages (1788--92) der Verfassung vom 31. Mai
1791 zu Grunde legten, sind im wesentlichen dieselben, welche
Karwicki und Leszczynski zuerst theoretisch aussprachen: Be-
schränkung, resp. gänzliche Aufhebung des liberum veto, Ver-
besserung des Geschäftsganges auf den Land- und Reichstagen,
Beschränkung der Machtfülle der großen Kronämter, Reform
des Gerichtswesens, Vermehrung der Armee und finanzielle
Sicherstellung ihrer Erhaltung u. s. f.1).

Unter den Männern nun, welche diese Reformideen ins
praktische Leben einzuführen strebten, stehen bekanntlich die
Brüder Fürsten Czartoryski, Michael Friedrich und August
Alexander
, in erster Reihe. Ihr ganzes Leben war von
diesem Streben erfüllt und beherrscht: auf die Geschicke der
Nation in ihrer Epoche haben sie vor allen anderen den tief-
greifendsten Einfluß geübt.

Ihr Geschlecht leitete sich von den alten Fürsten Lithauens
her; von Gedimin, dessen Söhnen und Enkeln, deren Wappen,
den dahersprengenden Reiter (pogon) es heute noch führt.
Wie andere Zweige dieses Fürstengeschlechtes, sind auch ihre
näheren Vorfahren wahrscheinlich früh in die bereits im
14. Jahrhundert von den Lithauern eroberten russischen Land-
schaften übergesiedelt. Wenigstens erscheinen Fürsten Czartoryski
bereits urkundlich gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts (1422);
woher der Schluß wohl gerechtfertigt sein dürfte, daß die ur-
alte Veste Czartorysk, am Flusse Styr in Volhynien, damals
bereits seit längerer Zeit der Mittelpunkt ihrer dortigen Be-
sitzungen war. Wie früh sie sich dem Glauben der griechischen

1) Auch Karwicki's rein republikanische Tendenz hatte damals ihren
Vertreter in Felix Potocki. Vgl. Szujski IV, p. 590.

ſind wir doch zu der Annahme berechtigt, daß ſie nicht ver-
gebens geſchrieben wurden, wenn auch die Saat, die ſie aus-
ſtreuten, erſt ſpät aufging. Denn faſt alle die Reformideen,
welche faſt ein Menſchenalter nach ihnen, die Czartoryski und
Poniatowski praktiſch einzuführen verſuchten, welche dann gegen
das Ende des Jahrhunderts die Führer des ſogenannten vier-
jährigen Reichstages (1788—92) der Verfaſſung vom 31. Mai
1791 zu Grunde legten, ſind im weſentlichen dieſelben, welche
Karwicki und Leszczynski zuerſt theoretiſch ausſprachen: Be-
ſchränkung, reſp. gänzliche Aufhebung des liberum veto, Ver-
beſſerung des Geſchäftsganges auf den Land- und Reichstagen,
Beſchränkung der Machtfülle der großen Kronämter, Reform
des Gerichtsweſens, Vermehrung der Armee und finanzielle
Sicherſtellung ihrer Erhaltung u. ſ. f.1).

Unter den Männern nun, welche dieſe Reformideen ins
praktiſche Leben einzuführen ſtrebten, ſtehen bekanntlich die
Brüder Fürſten Czartoryski, Michael Friedrich und Auguſt
Alexander
, in erſter Reihe. Ihr ganzes Leben war von
dieſem Streben erfüllt und beherrſcht: auf die Geſchicke der
Nation in ihrer Epoche haben ſie vor allen anderen den tief-
greifendſten Einfluß geübt.

Ihr Geſchlecht leitete ſich von den alten Fürſten Lithauens
her; von Gedimin, deſſen Söhnen und Enkeln, deren Wappen,
den daherſprengenden Reiter (pogon) es heute noch führt.
Wie andere Zweige dieſes Fürſtengeſchlechtes, ſind auch ihre
näheren Vorfahren wahrſcheinlich früh in die bereits im
14. Jahrhundert von den Lithauern eroberten ruſſiſchen Land-
ſchaften übergeſiedelt. Wenigſtens erſcheinen Fürſten Czartoryski
bereits urkundlich gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts (1422);
woher der Schluß wohl gerechtfertigt ſein dürfte, daß die ur-
alte Veſte Czartorysk, am Fluſſe Styr in Volhynien, damals
bereits ſeit längerer Zeit der Mittelpunkt ihrer dortigen Be-
ſitzungen war. Wie früh ſie ſich dem Glauben der griechiſchen

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Vertreter in Felix Potocki. Vgl. Szujski IV, p. 590.
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[30/0044] ſind wir doch zu der Annahme berechtigt, daß ſie nicht ver- gebens geſchrieben wurden, wenn auch die Saat, die ſie aus- ſtreuten, erſt ſpät aufging. Denn faſt alle die Reformideen, welche faſt ein Menſchenalter nach ihnen, die Czartoryski und Poniatowski praktiſch einzuführen verſuchten, welche dann gegen das Ende des Jahrhunderts die Führer des ſogenannten vier- jährigen Reichstages (1788—92) der Verfaſſung vom 31. Mai 1791 zu Grunde legten, ſind im weſentlichen dieſelben, welche Karwicki und Leszczynski zuerſt theoretiſch ausſprachen: Be- ſchränkung, reſp. gänzliche Aufhebung des liberum veto, Ver- beſſerung des Geſchäftsganges auf den Land- und Reichstagen, Beſchränkung der Machtfülle der großen Kronämter, Reform des Gerichtsweſens, Vermehrung der Armee und finanzielle Sicherſtellung ihrer Erhaltung u. ſ. f. 1). Unter den Männern nun, welche dieſe Reformideen ins praktiſche Leben einzuführen ſtrebten, ſtehen bekanntlich die Brüder Fürſten Czartoryski, Michael Friedrich und Auguſt Alexander, in erſter Reihe. Ihr ganzes Leben war von dieſem Streben erfüllt und beherrſcht: auf die Geſchicke der Nation in ihrer Epoche haben ſie vor allen anderen den tief- greifendſten Einfluß geübt. Ihr Geſchlecht leitete ſich von den alten Fürſten Lithauens her; von Gedimin, deſſen Söhnen und Enkeln, deren Wappen, den daherſprengenden Reiter (pogon) es heute noch führt. Wie andere Zweige dieſes Fürſtengeſchlechtes, ſind auch ihre näheren Vorfahren wahrſcheinlich früh in die bereits im 14. Jahrhundert von den Lithauern eroberten ruſſiſchen Land- ſchaften übergeſiedelt. Wenigſtens erſcheinen Fürſten Czartoryski bereits urkundlich gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts (1422); woher der Schluß wohl gerechtfertigt ſein dürfte, daß die ur- alte Veſte Czartorysk, am Fluſſe Styr in Volhynien, damals bereits ſeit längerer Zeit der Mittelpunkt ihrer dortigen Be- ſitzungen war. Wie früh ſie ſich dem Glauben der griechiſchen 1) Auch Karwicki’s rein republikaniſche Tendenz hatte damals ihren Vertreter in Felix Potocki. Vgl. Szujski IV, p. 590.

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/44>, abgerufen am 26.04.2024.