Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite
4. Die "Familie".

Wie bald nun nach dieser entscheidenden Wendung in den
Czartoryski's der Gedanke lebendig geworden ist, Form und
Gestalt angenommen hat, in Verbindung mit dem neuen Könige
und gestützt auf Rußland die von ihnen für Polen als noth-
wendig erkannten Reformen auch durchzusetzen, wissen wir nicht
mit Bestimmtheit. Unzweifelhaft haben sie die Ideen, welche
sie dreißig Jahre später, auf dem Zenith ihres Einflusses und
ihrer Macht ins praktische Leben wirklich einzuführen begannen,
lange vorher nicht nur mit sich herumgetragen und erwogen,
sondern auch für sie andere zu gewinnen sich bemüht. Allein
es verging doch ein ganzes Decennium, ehe sie, soviel wir
wissen, den ersten Versuch zu einem Anfang der Reform machten.
Bis dahin finden wir sie politisch nur in altpolnischer Weise
eifrig beschäftigt sich selbst in der Stellung, die sie einnehmen,
dadurch zu befestigen, daß sie sich in der Gunst des Hofes und
Rußlands erhalten, und durch diese sich, ihre Verwandten, Freunde
und Clienten in Ämter und Würden bringen. Ob und in wie
weit sie hiebei von vornherein mit vollem Bewußtsein ge-
handelt haben, um sich auf diese Weise zunächst eine feste Grund-
lage der Macht für spätere Reformen oder gar für den Über-
gang der Krone an ihr eignes Haus zu schaffen, wie von
vielen, welche von Späterem auf Früheres schließen, behauptet

4. Die „Familie“.

Wie bald nun nach dieſer entſcheidenden Wendung in den
Czartoryski’s der Gedanke lebendig geworden iſt, Form und
Geſtalt angenommen hat, in Verbindung mit dem neuen Könige
und geſtützt auf Rußland die von ihnen für Polen als noth-
wendig erkannten Reformen auch durchzuſetzen, wiſſen wir nicht
mit Beſtimmtheit. Unzweifelhaft haben ſie die Ideen, welche
ſie dreißig Jahre ſpäter, auf dem Zenith ihres Einfluſſes und
ihrer Macht ins praktiſche Leben wirklich einzuführen begannen,
lange vorher nicht nur mit ſich herumgetragen und erwogen,
ſondern auch für ſie andere zu gewinnen ſich bemüht. Allein
es verging doch ein ganzes Decennium, ehe ſie, ſoviel wir
wiſſen, den erſten Verſuch zu einem Anfang der Reform machten.
Bis dahin finden wir ſie politiſch nur in altpolniſcher Weiſe
eifrig beſchäftigt ſich ſelbſt in der Stellung, die ſie einnehmen,
dadurch zu befeſtigen, daß ſie ſich in der Gunſt des Hofes und
Rußlands erhalten, und durch dieſe ſich, ihre Verwandten, Freunde
und Clienten in Ämter und Würden bringen. Ob und in wie
weit ſie hiebei von vornherein mit vollem Bewußtſein ge-
handelt haben, um ſich auf dieſe Weiſe zunächſt eine feſte Grund-
lage der Macht für ſpätere Reformen oder gar für den Über-
gang der Krone an ihr eignes Haus zu ſchaffen, wie von
vielen, welche von Späterem auf Früheres ſchließen, behauptet

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0062" n="[48]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">4. Die &#x201E;Familie&#x201C;.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Wie bald nun nach die&#x017F;er ent&#x017F;cheidenden Wendung in den<lb/>
Czartoryski&#x2019;s der Gedanke lebendig geworden i&#x017F;t, Form und<lb/>
Ge&#x017F;talt angenommen hat, in Verbindung mit dem neuen Könige<lb/>
und ge&#x017F;tützt auf Rußland die von ihnen für Polen als noth-<lb/>
wendig erkannten Reformen auch durchzu&#x017F;etzen, wi&#x017F;&#x017F;en wir nicht<lb/>
mit Be&#x017F;timmtheit. Unzweifelhaft haben &#x017F;ie die Ideen, welche<lb/>
&#x017F;ie dreißig Jahre &#x017F;päter, auf dem Zenith ihres Einflu&#x017F;&#x017F;es und<lb/>
ihrer Macht ins prakti&#x017F;che Leben wirklich einzuführen begannen,<lb/>
lange vorher nicht nur mit &#x017F;ich herumgetragen und erwogen,<lb/>
&#x017F;ondern auch für &#x017F;ie andere zu gewinnen &#x017F;ich bemüht. Allein<lb/>
es verging doch ein ganzes Decennium, ehe &#x017F;ie, &#x017F;oviel wir<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, den er&#x017F;ten Ver&#x017F;uch zu einem Anfang der Reform machten.<lb/>
Bis dahin finden wir &#x017F;ie politi&#x017F;ch nur in altpolni&#x017F;cher Wei&#x017F;e<lb/>
eifrig be&#x017F;chäftigt &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t in der Stellung, die &#x017F;ie einnehmen,<lb/>
dadurch zu befe&#x017F;tigen, daß &#x017F;ie &#x017F;ich in der Gun&#x017F;t des Hofes und<lb/>
Rußlands erhalten, und durch die&#x017F;e &#x017F;ich, ihre Verwandten, Freunde<lb/>
und Clienten in Ämter und Würden bringen. Ob und in wie<lb/>
weit &#x017F;ie hiebei von vornherein mit vollem Bewußt&#x017F;ein ge-<lb/>
handelt haben, um &#x017F;ich auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e zunäch&#x017F;t eine fe&#x017F;te Grund-<lb/>
lage der Macht für &#x017F;pätere Reformen oder gar für den Über-<lb/>
gang der Krone an ihr eignes Haus zu &#x017F;chaffen, wie von<lb/>
vielen, welche von Späterem auf Früheres &#x017F;chließen, behauptet<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[48]/0062] 4. Die „Familie“. Wie bald nun nach dieſer entſcheidenden Wendung in den Czartoryski’s der Gedanke lebendig geworden iſt, Form und Geſtalt angenommen hat, in Verbindung mit dem neuen Könige und geſtützt auf Rußland die von ihnen für Polen als noth- wendig erkannten Reformen auch durchzuſetzen, wiſſen wir nicht mit Beſtimmtheit. Unzweifelhaft haben ſie die Ideen, welche ſie dreißig Jahre ſpäter, auf dem Zenith ihres Einfluſſes und ihrer Macht ins praktiſche Leben wirklich einzuführen begannen, lange vorher nicht nur mit ſich herumgetragen und erwogen, ſondern auch für ſie andere zu gewinnen ſich bemüht. Allein es verging doch ein ganzes Decennium, ehe ſie, ſoviel wir wiſſen, den erſten Verſuch zu einem Anfang der Reform machten. Bis dahin finden wir ſie politiſch nur in altpolniſcher Weiſe eifrig beſchäftigt ſich ſelbſt in der Stellung, die ſie einnehmen, dadurch zu befeſtigen, daß ſie ſich in der Gunſt des Hofes und Rußlands erhalten, und durch dieſe ſich, ihre Verwandten, Freunde und Clienten in Ämter und Würden bringen. Ob und in wie weit ſie hiebei von vornherein mit vollem Bewußtſein ge- handelt haben, um ſich auf dieſe Weiſe zunächſt eine feſte Grund- lage der Macht für ſpätere Reformen oder gar für den Über- gang der Krone an ihr eignes Haus zu ſchaffen, wie von vielen, welche von Späterem auf Früheres ſchließen, behauptet

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/62
Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. [48]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/62>, abgerufen am 21.11.2024.