Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite
A. Altorientalisches.
A. Altorientalisches.
1. Egyptisches.
Die Schaffung des Pflanzenornaments.

Zwei Pflanzen sind es, die man bisher als untrennbar von aller
egyptischen Kultur gehalten hat und die man auch in der bilden-
den Kunst der Altegypter als die gebräuchlichsten Symbole überall
an den Denkmälern wiederzufinden glaubte: der Lotus und der Pa-
pyrus
. Hinsichtlich der kulturellen Bedeutung dieser beiden Pflanzen
für die alten Egypter hatte man eine kostbare Stütze an dem Be-
richte, den uns Herodot über die Stellung derselben im Haushalte
der Egypter hinterlassen hat. Und auch auf Kunstdenkmälern lagen

[Abbildung] Fig. 7.

Lotusblüthe in Profilansicht.

[Abbildung] Fig. 8.

Lotusblüthe in Profilansicht (sogen. Papyrus).

zwei in die frühesten Zeiten zurückreichende, stilisirte Blumenprofile
vor, von denen das eine mit deutlich ausgeprägten dreieckigen Blättern
(Fig. 7) mit dem Lotus, das andere, glockenförmige, ohne Andeutung
von Blättern, mit dem Papyrus (Fig. 8) identificirt wurde. In der
That zeigt die Blüthenkrone derjenigen Pflanzenspecies, die man bisher
für den Lotus der Altegypter angesehen hat, einen Kranz von drei-
eckigen Blättern. Die Papyruspflanze dagegen ist bekrönt von einem
Wedel, dessen einzelne, haarförmige Halme nach allen Seiten strahlen-
artig auseinanderfallen; da aber die realistische Wiedergabe eines
solchen zerflatternden Gebildes einer noch unperspektivischen, mit
Umrisszeichnungen in der Fläche operirenden Kunst geradezu unmög-
lich gewesen sein mochte, nahm man an, dass der egyptische Künstler
sich die Halme des Wedels in einen glockenförmigen Schopf zusammen-
gefasst dachte, dessen kompakte Masse sich dann unschwer von einem

A. Altorientalisches.
A. Altorientalisches.
1. Egyptisches.
Die Schaffung des Pflanzenornaments.

Zwei Pflanzen sind es, die man bisher als untrennbar von aller
egyptischen Kultur gehalten hat und die man auch in der bilden-
den Kunst der Altegypter als die gebräuchlichsten Symbole überall
an den Denkmälern wiederzufinden glaubte: der Lotus und der Pa-
pyrus
. Hinsichtlich der kulturellen Bedeutung dieser beiden Pflanzen
für die alten Egypter hatte man eine kostbare Stütze an dem Be-
richte, den uns Herodot über die Stellung derselben im Haushalte
der Egypter hinterlassen hat. Und auch auf Kunstdenkmälern lagen

[Abbildung] Fig. 7.

Lotusblüthe in Profilansicht.

[Abbildung] Fig. 8.

Lotusblüthe in Profilansicht (sogen. Papyrus).

zwei in die frühesten Zeiten zurückreichende, stilisirte Blumenprofile
vor, von denen das eine mit deutlich ausgeprägten dreieckigen Blättern
(Fig. 7) mit dem Lotus, das andere, glockenförmige, ohne Andeutung
von Blättern, mit dem Papyrus (Fig. 8) identificirt wurde. In der
That zeigt die Blüthenkrone derjenigen Pflanzenspecies, die man bisher
für den Lotus der Altegypter angesehen hat, einen Kranz von drei-
eckigen Blättern. Die Papyruspflanze dagegen ist bekrönt von einem
Wedel, dessen einzelne, haarförmige Halme nach allen Seiten strahlen-
artig auseinanderfallen; da aber die realistische Wiedergabe eines
solchen zerflatternden Gebildes einer noch unperspektivischen, mit
Umrisszeichnungen in der Fläche operirenden Kunst geradezu unmög-
lich gewesen sein mochte, nahm man an, dass der egyptische Künstler
sich die Halme des Wedels in einen glockenförmigen Schopf zusammen-
gefasst dachte, dessen kompakte Masse sich dann unschwer von einem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0074" n="48"/>
        <fw place="top" type="header">A. Altorientalisches.</fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">A. Altorientalisches.</hi> </head><lb/>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#b">1. Egyptisches.</hi><lb/><hi rendition="#g">Die Schaffung des Pflanzenornaments</hi>.</head><lb/>
            <p>Zwei Pflanzen sind es, die man bisher als untrennbar von aller<lb/>
egyptischen Kultur gehalten hat und die man auch in der bilden-<lb/>
den Kunst der Altegypter als die gebräuchlichsten Symbole überall<lb/>
an den Denkmälern wiederzufinden glaubte: der <hi rendition="#i">Lotus</hi> und der <hi rendition="#i">Pa-<lb/>
pyrus</hi>. Hinsichtlich der kulturellen Bedeutung dieser beiden Pflanzen<lb/>
für die alten Egypter hatte man eine kostbare Stütze an dem Be-<lb/>
richte, den uns Herodot über die Stellung derselben im Haushalte<lb/>
der Egypter hinterlassen hat. Und auch auf Kunstdenkmälern lagen<lb/><figure><head>Fig. 7.</head><lb/><p>Lotusblüthe in Profilansicht.</p></figure><lb/><figure><head>Fig. 8.</head><lb/><p>Lotusblüthe in Profilansicht (sogen. Papyrus).</p></figure><lb/>
zwei in die frühesten Zeiten zurückreichende, stilisirte Blumenprofile<lb/>
vor, von denen das eine mit deutlich ausgeprägten dreieckigen Blättern<lb/>
(Fig. 7) mit dem Lotus, das andere, glockenförmige, ohne Andeutung<lb/>
von Blättern, mit dem Papyrus (Fig. 8) identificirt wurde. In der<lb/>
That zeigt die Blüthenkrone derjenigen Pflanzenspecies, die man bisher<lb/>
für den Lotus der Altegypter angesehen hat, einen Kranz von drei-<lb/>
eckigen Blättern. Die Papyruspflanze dagegen ist bekrönt von einem<lb/>
Wedel, dessen einzelne, haarförmige Halme nach allen Seiten strahlen-<lb/>
artig auseinanderfallen; da aber die realistische Wiedergabe eines<lb/>
solchen zerflatternden Gebildes einer noch unperspektivischen, mit<lb/>
Umrisszeichnungen in der Fläche operirenden Kunst geradezu unmög-<lb/>
lich gewesen sein mochte, nahm man an, dass der egyptische Künstler<lb/>
sich die Halme des Wedels in einen glockenförmigen Schopf zusammen-<lb/>
gefasst dachte, dessen kompakte Masse sich dann unschwer von einem<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0074] A. Altorientalisches. A. Altorientalisches. 1. Egyptisches. Die Schaffung des Pflanzenornaments. Zwei Pflanzen sind es, die man bisher als untrennbar von aller egyptischen Kultur gehalten hat und die man auch in der bilden- den Kunst der Altegypter als die gebräuchlichsten Symbole überall an den Denkmälern wiederzufinden glaubte: der Lotus und der Pa- pyrus. Hinsichtlich der kulturellen Bedeutung dieser beiden Pflanzen für die alten Egypter hatte man eine kostbare Stütze an dem Be- richte, den uns Herodot über die Stellung derselben im Haushalte der Egypter hinterlassen hat. Und auch auf Kunstdenkmälern lagen [Abbildung Fig. 7. Lotusblüthe in Profilansicht.] [Abbildung Fig. 8. Lotusblüthe in Profilansicht (sogen. Papyrus).] zwei in die frühesten Zeiten zurückreichende, stilisirte Blumenprofile vor, von denen das eine mit deutlich ausgeprägten dreieckigen Blättern (Fig. 7) mit dem Lotus, das andere, glockenförmige, ohne Andeutung von Blättern, mit dem Papyrus (Fig. 8) identificirt wurde. In der That zeigt die Blüthenkrone derjenigen Pflanzenspecies, die man bisher für den Lotus der Altegypter angesehen hat, einen Kranz von drei- eckigen Blättern. Die Papyruspflanze dagegen ist bekrönt von einem Wedel, dessen einzelne, haarförmige Halme nach allen Seiten strahlen- artig auseinanderfallen; da aber die realistische Wiedergabe eines solchen zerflatternden Gebildes einer noch unperspektivischen, mit Umrisszeichnungen in der Fläche operirenden Kunst geradezu unmög- lich gewesen sein mochte, nahm man an, dass der egyptische Künstler sich die Halme des Wedels in einen glockenförmigen Schopf zusammen- gefasst dachte, dessen kompakte Masse sich dann unschwer von einem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/74
Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/74>, abgerufen am 03.12.2024.