Die Arabeske ist das Pflanzenrankenornament der sara- cenischen Kunst, d. i. der Kunst des Orients im Mittelalter und in der neueren Zeit. Der Gegenstand, den wir in diesem Schlusskapitel zu behandeln gedenken, schliesst sich somit chronologisch wie entwick- lungsgeschichtlich unmittelbar an denjenigen, der im vorhergehenden Kapitel seine Erörterung gefunden hat. Ist nämlich unsere eingangs gegebene Definition richtig, so drängt sich schon mit Rücksicht auf das allwaltende Causalitätsgesetz die Vermuthung auf, es müsse zwischen der saracenischen und der ihr zeitlich unmittelbar voraus- gehenden antiken Ornamentranke ein genetischer Zusammenhang ex- istiren, welchen im Einzelnen genau und schrittweise nachzuweisen, im Folgenden unsere Aufgabe wäre. Es darf aber nicht verschwiegen werden, dass die bezügliche Definition heutzutage noch keineswegs ein ausgemachtes Gemeingut der kunstforschenden Kreise bildet. Dieser Umstand lässt es empfehlenswerth erscheinen, vorerst einmal ein fer- tiges, völlig ausgebildetes Beispiel einer Arabeske in Betrachtung zu ziehen, und an der Hand desselben jene bestimmten Eigenthümlich- keiten zu erörtern, welche den Pflanzenranken-Charakter daran trüben und unterdrücken. Damit wird uns zugleich auch erwünschte Gelegen- heit geboten sein, die wesentlichsten Einzelmotive des Arabeskenorna- ments kennen zu lernen, und somit den Grundcharakter dieser be- deutsamen Ornamentgattung scharf zu erfassen, bevor wir an die eigentliche Untersuchung der Frage nach ihrer historischen Abkunft schreiten.
Da es also nun einmal durch die Umstände geboten erscheint, an den Anfang das Ende zu stellen, so wählen wir gleich ein aller- spätestes, halbmodernes Beispiel (Fig. 138), eine dekorative Wand-
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IV. Die Arabeske.
Die Arabeske ist das Pflanzenrankenornament der sara- cenischen Kunst, d. i. der Kunst des Orients im Mittelalter und in der neueren Zeit. Der Gegenstand, den wir in diesem Schlusskapitel zu behandeln gedenken, schliesst sich somit chronologisch wie entwick- lungsgeschichtlich unmittelbar an denjenigen, der im vorhergehenden Kapitel seine Erörterung gefunden hat. Ist nämlich unsere eingangs gegebene Definition richtig, so drängt sich schon mit Rücksicht auf das allwaltende Causalitätsgesetz die Vermuthung auf, es müsse zwischen der saracenischen und der ihr zeitlich unmittelbar voraus- gehenden antiken Ornamentranke ein genetischer Zusammenhang ex- istiren, welchen im Einzelnen genau und schrittweise nachzuweisen, im Folgenden unsere Aufgabe wäre. Es darf aber nicht verschwiegen werden, dass die bezügliche Definition heutzutage noch keineswegs ein ausgemachtes Gemeingut der kunstforschenden Kreise bildet. Dieser Umstand lässt es empfehlenswerth erscheinen, vorerst einmal ein fer- tiges, völlig ausgebildetes Beispiel einer Arabeske in Betrachtung zu ziehen, und an der Hand desselben jene bestimmten Eigenthümlich- keiten zu erörtern, welche den Pflanzenranken-Charakter daran trüben und unterdrücken. Damit wird uns zugleich auch erwünschte Gelegen- heit geboten sein, die wesentlichsten Einzelmotive des Arabeskenorna- ments kennen zu lernen, und somit den Grundcharakter dieser be- deutsamen Ornamentgattung scharf zu erfassen, bevor wir an die eigentliche Untersuchung der Frage nach ihrer historischen Abkunft schreiten.
Da es also nun einmal durch die Umstände geboten erscheint, an den Anfang das Ende zu stellen, so wählen wir gleich ein aller- spätestes, halbmodernes Beispiel (Fig. 138), eine dekorative Wand-
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IV.
Die Arabeske.
Die Arabeske ist das Pflanzenrankenornament der sara-
cenischen Kunst, d. i. der Kunst des Orients im Mittelalter und in der
neueren Zeit. Der Gegenstand, den wir in diesem Schlusskapitel zu
behandeln gedenken, schliesst sich somit chronologisch wie entwick-
lungsgeschichtlich unmittelbar an denjenigen, der im vorhergehenden
Kapitel seine Erörterung gefunden hat. Ist nämlich unsere eingangs
gegebene Definition richtig, so drängt sich schon mit Rücksicht auf
das allwaltende Causalitätsgesetz die Vermuthung auf, es müsse
zwischen der saracenischen und der ihr zeitlich unmittelbar voraus-
gehenden antiken Ornamentranke ein genetischer Zusammenhang ex-
istiren, welchen im Einzelnen genau und schrittweise nachzuweisen, im
Folgenden unsere Aufgabe wäre. Es darf aber nicht verschwiegen
werden, dass die bezügliche Definition heutzutage noch keineswegs ein
ausgemachtes Gemeingut der kunstforschenden Kreise bildet. Dieser
Umstand lässt es empfehlenswerth erscheinen, vorerst einmal ein fer-
tiges, völlig ausgebildetes Beispiel einer Arabeske in Betrachtung zu
ziehen, und an der Hand desselben jene bestimmten Eigenthümlich-
keiten zu erörtern, welche den Pflanzenranken-Charakter daran trüben
und unterdrücken. Damit wird uns zugleich auch erwünschte Gelegen-
heit geboten sein, die wesentlichsten Einzelmotive des Arabeskenorna-
ments kennen zu lernen, und somit den Grundcharakter dieser be-
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schreiten.
Da es also nun einmal durch die Umstände geboten erscheint, an
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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. [259]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/285>, abgerufen am 21.11.2024.
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