Jch will schreiben! Keine Mannsperson soll für mich schreiben. (*) Kein Frauenzim- mer soll mich hindern, zu schreiben. Jch bin doch gewiß so alt, daß ich vernünftige Grün- de, und Eigenfinn unterscheiden kann? Jch schreibe doch an keine Mannsperson, nicht wahr? - - Wenn ich mit einem Liebhaber einen Brief- wechsel unterhielte, den meine Mutter nicht leiden könnte, und dem ich mit Vernunft keine Hofnung geben dürfte, so würde mich meine eigne Ehre und Pflicht zum Gehorsam verbin- den. Aber da in diesem Fall ein so gewaltiger Unterschied ist, so bitte ich, sagen Sie mir da- von kein Wort mehr.
Jch billige Jhren Entschluß sehr, den Böse- wicht zu verlassen, wenn Sie sich mit ihrem Oncle versöhnen können. Jch hasse den Men- schen, von ganzen Herzen hasse ich ihn, weil er Sie so martert. Selbst Jhre Erzählung seiner Streiche quält mich schon, wenn ich sie lese, fast so sehr, als Sie. Möchten Sie doch ei- ne günstige Gelegen haben, dem närrischen Kerl zu entfliehen!
Jch
(*)Clarissa hatte der Fräulein vorgeschlagen, daß Herr Hickmann statt ihrer schreiben möchte. Siehe Th. III. S. 519.
Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.
Mittwochen den 10. May.
Jch will ſchreiben! Keine Mannsperſon ſoll fuͤr mich ſchreiben. (*) Kein Frauenzim- mer ſoll mich hindern, zu ſchreiben. Jch bin doch gewiß ſo alt, daß ich vernuͤnftige Gruͤn- de, und Eigenfinn unterſcheiden kann? Jch ſchreibe doch an keine Mannsperſon, nicht wahr? ‒ ‒ Wenn ich mit einem Liebhaber einen Brief- wechſel unterhielte, den meine Mutter nicht leiden koͤnnte, und dem ich mit Vernunft keine Hofnung geben duͤrfte, ſo wuͤrde mich meine eigne Ehre und Pflicht zum Gehorſam verbin- den. Aber da in dieſem Fall ein ſo gewaltiger Unterſchied iſt, ſo bitte ich, ſagen Sie mir da- von kein Wort mehr.
Jch billige Jhren Entſchluß ſehr, den Boͤſe- wicht zu verlaſſen, wenn Sie ſich mit ihrem Oncle verſoͤhnen koͤnnen. Jch haſſe den Men- ſchen, von ganzen Herzen haſſe ich ihn, weil er Sie ſo martert. Selbſt Jhre Erzaͤhlung ſeiner Streiche quaͤlt mich ſchon, wenn ich ſie leſe, faſt ſo ſehr, als Sie. Moͤchten Sie doch ei- ne guͤnſtige Gelegen haben, dem naͤrriſchen Kerl zu entfliehen!
Jch
(*)Clariſſa hatte der Fraͤulein vorgeſchlagen, daß Herr Hickmann ſtatt ihrer ſchreiben moͤchte. Siehe Th. III. S. 519.
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Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa
Harlowe.
Mittwochen den 10. May.
Jch will ſchreiben! Keine Mannsperſon
ſoll fuͤr mich ſchreiben. (*) Kein Frauenzim-
mer ſoll mich hindern, zu ſchreiben. Jch bin
doch gewiß ſo alt, daß ich vernuͤnftige Gruͤn-
de, und Eigenfinn unterſcheiden kann? Jch
ſchreibe doch an keine Mannsperſon, nicht wahr?
‒ ‒ Wenn ich mit einem Liebhaber einen Brief-
wechſel unterhielte, den meine Mutter nicht
leiden koͤnnte, und dem ich mit Vernunft keine
Hofnung geben duͤrfte, ſo wuͤrde mich meine
eigne Ehre und Pflicht zum Gehorſam verbin-
den. Aber da in dieſem Fall ein ſo gewaltiger
Unterſchied iſt, ſo bitte ich, ſagen Sie mir da-
von kein Wort mehr.
Jch billige Jhren Entſchluß ſehr, den Boͤſe-
wicht zu verlaſſen, wenn Sie ſich mit ihrem
Oncle verſoͤhnen koͤnnen. Jch haſſe den Men-
ſchen, von ganzen Herzen haſſe ich ihn, weil er
Sie ſo martert. Selbſt Jhre Erzaͤhlung ſeiner
Streiche quaͤlt mich ſchon, wenn ich ſie leſe,
faſt ſo ſehr, als Sie. Moͤchten Sie doch ei-
ne guͤnſtige Gelegen haben, dem naͤrriſchen
Kerl zu entfliehen!
Jch
(*) Clariſſa hatte der Fraͤulein vorgeſchlagen, daß
Herr Hickmann ſtatt ihrer ſchreiben moͤchte.
Siehe Th. III. S. 519.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/148>, abgerufen am 22.02.2025.
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