Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite



an einen Geistlichen zu gedenken, weil er gewiß
eine oder zwo Stunden hernach sterben würde.
Er war noch immer geneigt, wider alle Wahr-
scheinlichkeit zu hoffen, daß er genesen würde, und
fragte oft seine Schwester, ob sie nicht Leute eben
so krank gesehen hätte, als er wäre, die beynahe
zu einem Wunder, wenn jedermann sie aufgege-
ben, wieder aufgekommen wären?

Sie schüttelte den Kopf, und sagte ja. Als
sie sich aber einmal verlauten ließ, daß die Krank-
heiten dieser Leute eine Art von hitzigen Fie-
bern, und solche Zufälle, die ihre Entscheidungs-
zeiten hätten, gewesen wären: so nannte er sie ei-
ne Kleinmüthige und Hiobs Trösterinn, und
befahl ihr, nichts zu sagen, wofern sie nicht et-
was sagen könnte, das besser zur Sache diente,
und sich für einen Kranken mehr zu hören schickte.
Gleichwohl hat der arme Kerl selbst keine Hoff-
nung: wie aus seinem verzweifelungsvollen Schre-
cken offenbar ist. Ein solches und sehr fürchter-
liches Schrecken übersiel ihn unter andern bald,
nachdem der Arzt weggegangen war.


Der arme Mensch hat, die vorige ganze Stun-
de über, in Zuckungen, in schrecklichen Zu-
ckungen gelegen. O Himmel, Lovelace, der Tod
ist eine harte Sache! Bey meiner Treue, eine
harte Sache! - - Jch möchte wünschen, daß du
bey dieser Gelegenheit gegenwärtig wärest. Es
kommt hier nicht bloß auf die Beysorge an, die

man



an einen Geiſtlichen zu gedenken, weil er gewiß
eine oder zwo Stunden hernach ſterben wuͤrde.
Er war noch immer geneigt, wider alle Wahr-
ſcheinlichkeit zu hoffen, daß er geneſen wuͤrde, und
fragte oft ſeine Schweſter, ob ſie nicht Leute eben
ſo krank geſehen haͤtte, als er waͤre, die beynahe
zu einem Wunder, wenn jedermann ſie aufgege-
ben, wieder aufgekommen waͤren?

Sie ſchuͤttelte den Kopf, und ſagte ja. Als
ſie ſich aber einmal verlauten ließ, daß die Krank-
heiten dieſer Leute eine Art von hitzigen Fie-
bern, und ſolche Zufaͤlle, die ihre Entſcheidungs-
zeiten haͤtten, geweſen waͤren: ſo nannte er ſie ei-
ne Kleinmuͤthige und Hiobs Troͤſterinn, und
befahl ihr, nichts zu ſagen, wofern ſie nicht et-
was ſagen koͤnnte, das beſſer zur Sache diente,
und ſich fuͤr einen Kranken mehr zu hoͤren ſchickte.
Gleichwohl hat der arme Kerl ſelbſt keine Hoff-
nung: wie aus ſeinem verzweifelungsvollen Schre-
cken offenbar iſt. Ein ſolches und ſehr fuͤrchter-
liches Schrecken uͤberſiel ihn unter andern bald,
nachdem der Arzt weggegangen war.


Der arme Menſch hat, die vorige ganze Stun-
de uͤber, in Zuckungen, in ſchrecklichen Zu-
ckungen gelegen. O Himmel, Lovelace, der Tod
iſt eine harte Sache! Bey meiner Treue, eine
harte Sache! ‒ ‒ Jch moͤchte wuͤnſchen, daß du
bey dieſer Gelegenheit gegenwaͤrtig waͤreſt. Es
kommt hier nicht bloß auf die Beyſorge an, die

man
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0068" n="62"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
an einen Gei&#x017F;tlichen zu gedenken, weil er gewiß<lb/>
eine oder zwo Stunden hernach &#x017F;terben wu&#x0364;rde.<lb/>
Er war noch immer geneigt, wider alle Wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlichkeit zu hoffen, daß er gene&#x017F;en wu&#x0364;rde, und<lb/>
fragte oft &#x017F;eine Schwe&#x017F;ter, ob &#x017F;ie nicht Leute eben<lb/>
&#x017F;o krank ge&#x017F;ehen ha&#x0364;tte, als er wa&#x0364;re, die beynahe<lb/>
zu einem Wunder, wenn jedermann &#x017F;ie aufgege-<lb/>
ben, wieder aufgekommen wa&#x0364;ren?</p><lb/>
            <p>Sie &#x017F;chu&#x0364;ttelte den Kopf, und &#x017F;agte ja. Als<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich aber einmal verlauten ließ, daß die Krank-<lb/>
heiten <hi rendition="#fr">die&#x017F;er Leute</hi> eine Art von hitzigen Fie-<lb/>
bern, und &#x017F;olche Zufa&#x0364;lle, die ihre Ent&#x017F;cheidungs-<lb/>
zeiten ha&#x0364;tten, gewe&#x017F;en wa&#x0364;ren: &#x017F;o nannte er &#x017F;ie ei-<lb/>
ne <hi rendition="#fr">Kleinmu&#x0364;thige</hi> und <hi rendition="#fr">Hiobs Tro&#x0364;&#x017F;terinn,</hi> und<lb/>
befahl ihr, <hi rendition="#fr">nichts</hi> zu &#x017F;agen, wofern &#x017F;ie nicht et-<lb/>
was &#x017F;agen ko&#x0364;nnte, das be&#x017F;&#x017F;er zur Sache diente,<lb/>
und &#x017F;ich fu&#x0364;r einen Kranken mehr zu ho&#x0364;ren &#x017F;chickte.<lb/>
Gleichwohl hat der arme Kerl &#x017F;elb&#x017F;t keine Hoff-<lb/>
nung: wie aus &#x017F;einem verzweifelungsvollen Schre-<lb/>
cken offenbar i&#x017F;t. Ein &#x017F;olches und &#x017F;ehr fu&#x0364;rchter-<lb/>
liches Schrecken u&#x0364;ber&#x017F;iel ihn unter andern bald,<lb/>
nachdem der Arzt weggegangen war.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Mittwoch. um neun, des Abends.</hi> </dateline><lb/>
            <p><hi rendition="#in">D</hi>er arme Men&#x017F;ch hat, die vorige ganze Stun-<lb/>
de u&#x0364;ber, in Zuckungen, in &#x017F;chrecklichen Zu-<lb/>
ckungen gelegen. O Himmel, Lovelace, der Tod<lb/>
i&#x017F;t eine harte Sache! Bey meiner Treue, eine<lb/>
harte Sache! &#x2012; &#x2012; Jch mo&#x0364;chte wu&#x0364;n&#x017F;chen, daß du<lb/>
bey die&#x017F;er Gelegenheit gegenwa&#x0364;rtig wa&#x0364;re&#x017F;t. Es<lb/>
kommt hier nicht bloß auf die Bey&#x017F;orge an, die<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">man</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[62/0068] an einen Geiſtlichen zu gedenken, weil er gewiß eine oder zwo Stunden hernach ſterben wuͤrde. Er war noch immer geneigt, wider alle Wahr- ſcheinlichkeit zu hoffen, daß er geneſen wuͤrde, und fragte oft ſeine Schweſter, ob ſie nicht Leute eben ſo krank geſehen haͤtte, als er waͤre, die beynahe zu einem Wunder, wenn jedermann ſie aufgege- ben, wieder aufgekommen waͤren? Sie ſchuͤttelte den Kopf, und ſagte ja. Als ſie ſich aber einmal verlauten ließ, daß die Krank- heiten dieſer Leute eine Art von hitzigen Fie- bern, und ſolche Zufaͤlle, die ihre Entſcheidungs- zeiten haͤtten, geweſen waͤren: ſo nannte er ſie ei- ne Kleinmuͤthige und Hiobs Troͤſterinn, und befahl ihr, nichts zu ſagen, wofern ſie nicht et- was ſagen koͤnnte, das beſſer zur Sache diente, und ſich fuͤr einen Kranken mehr zu hoͤren ſchickte. Gleichwohl hat der arme Kerl ſelbſt keine Hoff- nung: wie aus ſeinem verzweifelungsvollen Schre- cken offenbar iſt. Ein ſolches und ſehr fuͤrchter- liches Schrecken uͤberſiel ihn unter andern bald, nachdem der Arzt weggegangen war. Mittwoch. um neun, des Abends. Der arme Menſch hat, die vorige ganze Stun- de uͤber, in Zuckungen, in ſchrecklichen Zu- ckungen gelegen. O Himmel, Lovelace, der Tod iſt eine harte Sache! Bey meiner Treue, eine harte Sache! ‒ ‒ Jch moͤchte wuͤnſchen, daß du bey dieſer Gelegenheit gegenwaͤrtig waͤreſt. Es kommt hier nicht bloß auf die Beyſorge an, die man

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/68
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/68>, abgerufen am 21.12.2024.