Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite



als des Hrn. Belfords Diener mit ihrem rühren-
den Briefe angekommen. Jch war bey der
Fräulein Lloyd. Meine Mutter schickte mir ihn zu:
und ich kam den Augenblick zu Hause. Aber
er war schon fort. Er wollte nicht bleiben, wie
es scheint. Gleichwohl hätte ich ihm gern ein
hundert tausend Fragen thun mögen. Aber war-
um halte ich meinen Bothen so auf? Jch habe
Jhnen sehr viele Dinge zu sagen: über dieselbe
mit Jhnen zu berathschlagen. Sie sollen mich in
allen Stücken leiten. Jch will Jhnen auf den
geringsten Wink gehorchen. Aber wo Sie mich
verlassen - - - was ist dann die Welt, oder alles
in derselben für

Jhre
Anna Howe.

Die Wirkung, welche dieser Brief über die
Fräulein hatte, die dem Ende, das die red-
liche Verfasserinn desselben so sehr befürchtet und
bejammert, so nahe ist, nöthigte die Fr. Lovick bey
Vorlesung desselben oft abzubrechen und die
Stimme zu verändern.

Dieß ist eine Freundinn; sprach die göttliche
Fräulein, indem sie den Brief in ihre Hand nahm
und ihn küssete; dieß ist eine Freundinn, die
werth ist, daß man um ihretwillen zu leben wün-
sche - - O meine liebe Anna Howe! wie unver-
rückt angenehm und edelmüthig ist unsere Freund-
schaft gewesen! - - Allein wir werden dereinst,
wie ich hoffe, und das muß unser beyder Trost

seyn,



als des Hrn. Belfords Diener mit ihrem ruͤhren-
den Briefe angekommen. Jch war bey der
Fraͤulein Lloyd. Meine Mutter ſchickte mir ihn zu:
und ich kam den Augenblick zu Hauſe. Aber
er war ſchon fort. Er wollte nicht bleiben, wie
es ſcheint. Gleichwohl haͤtte ich ihm gern ein
hundert tauſend Fragen thun moͤgen. Aber war-
um halte ich meinen Bothen ſo auf? Jch habe
Jhnen ſehr viele Dinge zu ſagen: uͤber dieſelbe
mit Jhnen zu berathſchlagen. Sie ſollen mich in
allen Stuͤcken leiten. Jch will Jhnen auf den
geringſten Wink gehorchen. Aber wo Sie mich
verlaſſen ‒ ‒ ‒ was iſt dann die Welt, oder alles
in derſelben fuͤr

Jhre
Anna Howe.

Die Wirkung, welche dieſer Brief uͤber die
Fraͤulein hatte, die dem Ende, das die red-
liche Verfaſſerinn deſſelben ſo ſehr befuͤrchtet und
bejammert, ſo nahe iſt, noͤthigte die Fr. Lovick bey
Vorleſung deſſelben oft abzubrechen und die
Stimme zu veraͤndern.

Dieß iſt eine Freundinn; ſprach die goͤttliche
Fraͤulein, indem ſie den Brief in ihre Hand nahm
und ihn kuͤſſete; dieß iſt eine Freundinn, die
werth iſt, daß man um ihretwillen zu leben wuͤn-
ſche ‒ ‒ O meine liebe Anna Howe! wie unver-
ruͤckt angenehm und edelmuͤthig iſt unſere Freund-
ſchaft geweſen! ‒ ‒ Allein wir werden dereinſt,
wie ich hoffe, und das muß unſer beyder Troſt

ſeyn,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0422" n="416"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
als des Hrn. Belfords Diener mit ihrem ru&#x0364;hren-<lb/>
den Briefe angekommen. Jch war bey der<lb/>
Fra&#x0364;ulein Lloyd. Meine Mutter &#x017F;chickte mir ihn zu:<lb/>
und ich kam den Augenblick zu Hau&#x017F;e. Aber<lb/>
er war &#x017F;chon fort. Er wollte nicht bleiben, wie<lb/>
es &#x017F;cheint. Gleichwohl ha&#x0364;tte ich ihm gern ein<lb/>
hundert tau&#x017F;end Fragen thun mo&#x0364;gen. Aber war-<lb/>
um halte ich meinen Bothen &#x017F;o auf? Jch habe<lb/>
Jhnen &#x017F;ehr viele Dinge zu &#x017F;agen: u&#x0364;ber die&#x017F;elbe<lb/>
mit Jhnen zu berath&#x017F;chlagen. Sie &#x017F;ollen mich in<lb/>
allen Stu&#x0364;cken leiten. Jch will Jhnen auf den<lb/>
gering&#x017F;ten Wink gehorchen. Aber wo <hi rendition="#fr">Sie</hi> mich<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en &#x2012; &#x2012; &#x2012; was i&#x017F;t dann die Welt, oder alles<lb/>
in der&#x017F;elben fu&#x0364;r</p><lb/>
            <closer>
              <salute> <hi rendition="#et">Jhre<lb/><hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Anna Howe.</hi></hi></hi> </salute>
            </closer>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <p><hi rendition="#in">D</hi>ie Wirkung, welche die&#x017F;er Brief u&#x0364;ber die<lb/>
Fra&#x0364;ulein hatte, die dem Ende, das die red-<lb/>
liche Verfa&#x017F;&#x017F;erinn de&#x017F;&#x017F;elben &#x017F;o &#x017F;ehr befu&#x0364;rchtet und<lb/>
bejammert, &#x017F;o nahe i&#x017F;t, no&#x0364;thigte die Fr. Lovick bey<lb/>
Vorle&#x017F;ung de&#x017F;&#x017F;elben oft abzubrechen und die<lb/>
Stimme zu vera&#x0364;ndern.</p><lb/>
            <p>Dieß i&#x017F;t eine Freundinn; &#x017F;prach die go&#x0364;ttliche<lb/>
Fra&#x0364;ulein, indem &#x017F;ie den Brief in ihre Hand nahm<lb/>
und ihn ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;ete; dieß i&#x017F;t eine Freundinn, die<lb/>
werth i&#x017F;t, daß man um ihretwillen zu leben wu&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;che &#x2012; &#x2012; O meine liebe Anna Howe! wie unver-<lb/>
ru&#x0364;ckt angenehm und edelmu&#x0364;thig i&#x017F;t un&#x017F;ere Freund-<lb/>
&#x017F;chaft gewe&#x017F;en! &#x2012; &#x2012; Allein wir werden derein&#x017F;t,<lb/>
wie ich hoffe, und das muß un&#x017F;er beyder Tro&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;eyn,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[416/0422] als des Hrn. Belfords Diener mit ihrem ruͤhren- den Briefe angekommen. Jch war bey der Fraͤulein Lloyd. Meine Mutter ſchickte mir ihn zu: und ich kam den Augenblick zu Hauſe. Aber er war ſchon fort. Er wollte nicht bleiben, wie es ſcheint. Gleichwohl haͤtte ich ihm gern ein hundert tauſend Fragen thun moͤgen. Aber war- um halte ich meinen Bothen ſo auf? Jch habe Jhnen ſehr viele Dinge zu ſagen: uͤber dieſelbe mit Jhnen zu berathſchlagen. Sie ſollen mich in allen Stuͤcken leiten. Jch will Jhnen auf den geringſten Wink gehorchen. Aber wo Sie mich verlaſſen ‒ ‒ ‒ was iſt dann die Welt, oder alles in derſelben fuͤr Jhre Anna Howe. Die Wirkung, welche dieſer Brief uͤber die Fraͤulein hatte, die dem Ende, das die red- liche Verfaſſerinn deſſelben ſo ſehr befuͤrchtet und bejammert, ſo nahe iſt, noͤthigte die Fr. Lovick bey Vorleſung deſſelben oft abzubrechen und die Stimme zu veraͤndern. Dieß iſt eine Freundinn; ſprach die goͤttliche Fraͤulein, indem ſie den Brief in ihre Hand nahm und ihn kuͤſſete; dieß iſt eine Freundinn, die werth iſt, daß man um ihretwillen zu leben wuͤn- ſche ‒ ‒ O meine liebe Anna Howe! wie unver- ruͤckt angenehm und edelmuͤthig iſt unſere Freund- ſchaft geweſen! ‒ ‒ Allein wir werden dereinſt, wie ich hoffe, und das muß unſer beyder Troſt ſeyn,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/422
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/422>, abgerufen am 21.11.2024.