Wie wird es mit Jhrer armen Anna Howe werden! Jch sehe so wohl aus Jhrer Hand, als ich es aus Jhrer eignen Erzählung, die sie mit mehrerer Zärtlichkeit begleitet haben würden, wenn es nicht sehr, sehr übel mit Jh- nen wäre, lese, wie es mit Jhnen stehe! - - Warum habe ich es so lange aufgeschoben, zu Jhnen zu kommen! - - Konnte ich wohl gedenken, daß die Tröstungen einer getreuen Freundinn für ein sanftes Gemüth im Unglück wie nichts wären, um mich dadurch bewegen zu lassen, auch nicht einmal einen einzigen Besuch in aller dieser Zeit bey ihnen abzulegen! - - Hätte ich eben so wohl, als sonst jedermann, meine theure Freundinn verlassen und bloß Fremden überlassen sollen! - - Wie wird es mit mir werden: wo es mit Jhnen so übel stehet, als meine Furcht es mir vorstellet!
Jch will mich diesen Augenblick auf den Weg begeben: so wenig Sie mir auch Muth da- zu machen! - - Meine Mutter ist geneigt, es zu erlauben! - - Warum, o warum ist sie nicht vorher dazu geneigt gewesen!
Jedoch
Fraͤulein Howe an Fraͤul. Clariſſa Harlowe.
Dienſtags, den 5ten Sept.
O meine allerliebſte Freundinn.
Wie wird es mit Jhrer armen Anna Howe werden! Jch ſehe ſo wohl aus Jhrer Hand, als ich es aus Jhrer eignen Erzaͤhlung, die ſie mit mehrerer Zaͤrtlichkeit begleitet haben wuͤrden, wenn es nicht ſehr, ſehr uͤbel mit Jh- nen waͤre, leſe, wie es mit Jhnen ſtehe! ‒ ‒ Warum habe ich es ſo lange aufgeſchoben, zu Jhnen zu kommen! ‒ ‒ Konnte ich wohl gedenken, daß die Troͤſtungen einer getreuen Freundinn fuͤr ein ſanftes Gemuͤth im Ungluͤck wie nichts waͤren, um mich dadurch bewegen zu laſſen, auch nicht einmal einen einzigen Beſuch in aller dieſer Zeit bey ihnen abzulegen! ‒ ‒ Haͤtte ich eben ſo wohl, als ſonſt jedermann, meine theure Freundinn verlaſſen und bloß Fremden uͤberlaſſen ſollen! ‒ ‒ Wie wird es mit mir werden: wo es mit Jhnen ſo uͤbel ſtehet, als meine Furcht es mir vorſtellet!
Jch will mich dieſen Augenblick auf den Weg begeben: ſo wenig Sie mir auch Muth da- zu machen! ‒ ‒ Meine Mutter iſt geneigt, es zu erlauben! ‒ ‒ Warum, o warum iſt ſie nicht vorher dazu geneigt geweſen!
Jedoch
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Fraͤulein Howe an Fraͤul. Clariſſa
Harlowe.
Dienſtags, den 5ten Sept.
O meine allerliebſte Freundinn.
Wie wird es mit Jhrer armen Anna Howe
werden! Jch ſehe ſo wohl aus Jhrer
Hand, als ich es aus Jhrer eignen Erzaͤhlung,
die ſie mit mehrerer Zaͤrtlichkeit begleitet haben
wuͤrden, wenn es nicht ſehr, ſehr uͤbel mit Jh-
nen waͤre, leſe, wie es mit Jhnen ſtehe! ‒ ‒
Warum habe ich es ſo lange aufgeſchoben, zu
Jhnen zu kommen! ‒ ‒ Konnte ich wohl
gedenken, daß die Troͤſtungen einer getreuen
Freundinn fuͤr ein ſanftes Gemuͤth im Ungluͤck
wie nichts waͤren, um mich dadurch bewegen zu
laſſen, auch nicht einmal einen einzigen Beſuch
in aller dieſer Zeit bey ihnen abzulegen! ‒ ‒ Haͤtte
ich eben ſo wohl, als ſonſt jedermann, meine theure
Freundinn verlaſſen und bloß Fremden uͤberlaſſen
ſollen! ‒ ‒ Wie wird es mit mir werden: wo
es mit Jhnen ſo uͤbel ſtehet, als meine Furcht es
mir vorſtellet!
Jch will mich dieſen Augenblick auf den
Weg begeben: ſo wenig Sie mir auch Muth da-
zu machen! ‒ ‒ Meine Mutter iſt geneigt, es zu
erlauben! ‒ ‒ Warum, o warum iſt ſie nicht
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Jedoch
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/420>, abgerufen am 21.12.2024.
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