die Naturen zu ändern, verleiten lassen, wo sie die beste Absicht haben! - - Eine um so viel thö- richtere Hoffnung, da uns die Erfahrung überzeu- gen kann, daß so gar bey ziemlich glücklichen Ehen kaum einer unter zehen ist, in welcher die Frau eben diejenige Zuneigung bey dem Manne behält, die sie bey dem Freyer und Liobhaber hatte. Was kann sie denn für einen Einfluß über die sittlichen Grundsätze eines Menschen haben, der sich öffentlich zu der freyen Lebensart bekennet, der vielleicht nur einiger Gemächlichkeit halber hey- rathet, der dieß Band für etwas verächtliches ansiehet, und der, nur allzu wahrscheinlicher Weise, durch nichts, als Alter, oder Krankheit, oder Schwachheit, die Folge von verderblicher Ueppig- keit, auf bessere Wege zu bringen ist.
Es ist mir sehr lieb, daß Sie meinem Vett - - -
Sonntags, den 3ten Sept. frühe um sechse.
Bis hierher hatte ich geschrieben: als ich ge- nöthigt ward, meine Feder niederzulegen. Jch ward so viel schwächer und schlechter, daß, wenn ich sie wiedergenommen hätte, hier zu beschließen, es mit einer so bebenden Wankelhaftigkeit hätte geschehen müssen, daß es Jhnen mehr Sorge mei- netwegen gemacht haben würde, als der Aufschub, da ich meinen Brief nicht mit der gestrigen Post des Abends abgesendet, thun kann. Deswegen ha- be ich es verschoben, um zu sehen, wie es Gott
gefal-
die Naturen zu aͤndern, verleiten laſſen, wo ſie die beſte Abſicht haben! ‒ ‒ Eine um ſo viel thoͤ- richtere Hoffnung, da uns die Erfahrung uͤberzeu- gen kann, daß ſo gar bey ziemlich gluͤcklichen Ehen kaum einer unter zehen iſt, in welcher die Frau eben diejenige Zuneigung bey dem Manne behaͤlt, die ſie bey dem Freyer und Liobhaber hatte. Was kann ſie denn fuͤr einen Einfluß uͤber die ſittlichen Grundſaͤtze eines Menſchen haben, der ſich oͤffentlich zu der freyen Lebensart bekennet, der vielleicht nur einiger Gemaͤchlichkeit halber hey- rathet, der dieß Band fuͤr etwas veraͤchtliches anſiehet, und der, nur allzu wahrſcheinlicher Weiſe, durch nichts, als Alter, oder Krankheit, oder Schwachheit, die Folge von verderblicher Ueppig- keit, auf beſſere Wege zu bringen iſt.
Es iſt mir ſehr lieb, daß Sie meinem Vett ‒ ‒ ‒
Sonntags, den 3ten Sept. fruͤhe um ſechſe.
Bis hierher hatte ich geſchrieben: als ich ge- noͤthigt ward, meine Feder niederzulegen. Jch ward ſo viel ſchwaͤcher und ſchlechter, daß, wenn ich ſie wiedergenommen haͤtte, hier zu beſchließen, es mit einer ſo bebenden Wankelhaftigkeit haͤtte geſchehen muͤſſen, daß es Jhnen mehr Sorge mei- netwegen gemacht haben wuͤrde, als der Aufſchub, da ich meinen Brief nicht mit der geſtrigen Poſt des Abends abgeſendet, thun kann. Deswegen ha- be ich es verſchoben, um zu ſehen, wie es Gott
gefal-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0325"n="319"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
die Naturen zu aͤndern, verleiten laſſen, wo ſie <hirendition="#fr">die<lb/>
beſte</hi> Abſicht haben! ‒‒ Eine um <hirendition="#fr">ſo viel</hi> thoͤ-<lb/>
richtere Hoffnung, da uns die Erfahrung uͤberzeu-<lb/>
gen kann, daß ſo gar bey ziemlich gluͤcklichen Ehen<lb/>
kaum einer unter zehen iſt, in welcher die Frau<lb/>
eben diejenige Zuneigung bey dem <hirendition="#fr">Manne</hi> behaͤlt,<lb/>
die ſie bey dem <hirendition="#fr">Freyer und Liobhaber</hi> hatte.<lb/>
Was kann ſie denn fuͤr einen Einfluß uͤber die<lb/>ſittlichen Grundſaͤtze eines Menſchen haben, der<lb/>ſich oͤffentlich zu der freyen Lebensart bekennet, der<lb/>
vielleicht nur einiger Gemaͤchlichkeit halber hey-<lb/>
rathet, der dieß Band fuͤr etwas veraͤchtliches<lb/>
anſiehet, und der, nur allzu wahrſcheinlicher Weiſe,<lb/>
durch nichts, als Alter, oder Krankheit, oder<lb/>
Schwachheit, die Folge von verderblicher Ueppig-<lb/>
keit, auf beſſere Wege zu bringen iſt.</p><lb/><p>Es iſt mir ſehr lieb, daß Sie meinem<lb/>
Vett ‒‒‒</p></div><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Sonntags, den 3ten Sept. fruͤhe<lb/>
um ſechſe.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">B</hi>is hierher hatte ich geſchrieben: als ich ge-<lb/>
noͤthigt ward, meine Feder niederzulegen.<lb/>
Jch ward ſo viel ſchwaͤcher und ſchlechter, daß, wenn<lb/>
ich ſie wiedergenommen haͤtte, hier zu beſchließen,<lb/>
es mit einer ſo bebenden Wankelhaftigkeit haͤtte<lb/>
geſchehen muͤſſen, daß es Jhnen mehr Sorge mei-<lb/>
netwegen gemacht haben wuͤrde, als der Aufſchub,<lb/>
da ich meinen Brief nicht mit der geſtrigen Poſt<lb/>
des Abends abgeſendet, thun kann. Deswegen ha-<lb/>
be ich es verſchoben, um zu ſehen, wie es Gott<lb/><fwplace="bottom"type="catch">gefal-</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[319/0325]
die Naturen zu aͤndern, verleiten laſſen, wo ſie die
beſte Abſicht haben! ‒ ‒ Eine um ſo viel thoͤ-
richtere Hoffnung, da uns die Erfahrung uͤberzeu-
gen kann, daß ſo gar bey ziemlich gluͤcklichen Ehen
kaum einer unter zehen iſt, in welcher die Frau
eben diejenige Zuneigung bey dem Manne behaͤlt,
die ſie bey dem Freyer und Liobhaber hatte.
Was kann ſie denn fuͤr einen Einfluß uͤber die
ſittlichen Grundſaͤtze eines Menſchen haben, der
ſich oͤffentlich zu der freyen Lebensart bekennet, der
vielleicht nur einiger Gemaͤchlichkeit halber hey-
rathet, der dieß Band fuͤr etwas veraͤchtliches
anſiehet, und der, nur allzu wahrſcheinlicher Weiſe,
durch nichts, als Alter, oder Krankheit, oder
Schwachheit, die Folge von verderblicher Ueppig-
keit, auf beſſere Wege zu bringen iſt.
Es iſt mir ſehr lieb, daß Sie meinem
Vett ‒ ‒ ‒
Sonntags, den 3ten Sept. fruͤhe
um ſechſe.
Bis hierher hatte ich geſchrieben: als ich ge-
noͤthigt ward, meine Feder niederzulegen.
Jch ward ſo viel ſchwaͤcher und ſchlechter, daß, wenn
ich ſie wiedergenommen haͤtte, hier zu beſchließen,
es mit einer ſo bebenden Wankelhaftigkeit haͤtte
geſchehen muͤſſen, daß es Jhnen mehr Sorge mei-
netwegen gemacht haben wuͤrde, als der Aufſchub,
da ich meinen Brief nicht mit der geſtrigen Poſt
des Abends abgeſendet, thun kann. Deswegen ha-
be ich es verſchoben, um zu ſehen, wie es Gott
gefal-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/325>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.