Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite




Der sechs und vierzigste Brief
von
Herrn Belford an Hrn. Robert Lovelace.

Jch bin eben von der Fräulein gekommen. Jch
ward in den Saal gelassen, wo sie, in ei-
nem sehr schwachen und matten Zustande, in ei-
nem Lehnstuhl saß. Sie bemühete sich, aufzu-
stehen, als ich hinein trat: aber war gezwungen,
sitzen zu bleiben. Sie werden mich entschuldi-
gen, Herr Belford: ich sollte aufstehen, ihnen
für alle ihre Höflichkeit gegen mich Dank zu sa-
gen. Jch bin tadelnswürdig gewesen, daß ich
den betrübten Ort so ungern verlassen wollte.
Denn hier bin ich im Himmel, gegen dort: und
habe noch dazu gute Leute um mich! - - Jch
habe lange, lange Zeit vorher, keine gute Leute
um mich gehabt, so daß ich anfing mich zu wun-
dern; dieß sagte sie mit einem halben Lächeln;
wo sie alle hin gekommen wären.

Jhre Wärterinn und Fr. Smithen, welche
gegenwärtig waren, nahmen Gelegenheit, abzu-
treten. Als wir alleine waren: sprach sie: Sie
scheinen ein Freund der Leutseligkeit, mein Herr.
Sie ließen sich merken, da ich mein Gefäng-
niß
verließ, daß ihnen meine traurige Geschichte
nicht ganz unbekannt wäre. Wo sie dieselbe

nach




Der ſechs und vierzigſte Brief
von
Herrn Belford an Hrn. Robert Lovelace.

Jch bin eben von der Fraͤulein gekommen. Jch
ward in den Saal gelaſſen, wo ſie, in ei-
nem ſehr ſchwachen und matten Zuſtande, in ei-
nem Lehnſtuhl ſaß. Sie bemuͤhete ſich, aufzu-
ſtehen, als ich hinein trat: aber war gezwungen,
ſitzen zu bleiben. Sie werden mich entſchuldi-
gen, Herr Belford: ich ſollte aufſtehen, ihnen
fuͤr alle ihre Hoͤflichkeit gegen mich Dank zu ſa-
gen. Jch bin tadelnswuͤrdig geweſen, daß ich
den betruͤbten Ort ſo ungern verlaſſen wollte.
Denn hier bin ich im Himmel, gegen dort: und
habe noch dazu gute Leute um mich! ‒ ‒ Jch
habe lange, lange Zeit vorher, keine gute Leute
um mich gehabt, ſo daß ich anfing mich zu wun-
dern; dieß ſagte ſie mit einem halben Laͤcheln;
wo ſie alle hin gekommen waͤren.

Jhre Waͤrterinn und Fr. Smithen, welche
gegenwaͤrtig waren, nahmen Gelegenheit, abzu-
treten. Als wir alleine waren: ſprach ſie: Sie
ſcheinen ein Freund der Leutſeligkeit, mein Herr.
Sie ließen ſich merken, da ich mein Gefaͤng-
niß
verließ, daß ihnen meine traurige Geſchichte
nicht ganz unbekannt waͤre. Wo ſie dieſelbe

nach
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0357" n="351"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#fr">Der &#x017F;echs und vierzig&#x017F;te Brief</hi><lb/>
von<lb/><hi rendition="#fr">Herrn Belford an Hrn. Robert Lovelace.</hi></head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Dien&#x017F;tags, Abends, den 18ten Jul.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">J</hi>ch bin eben von der Fra&#x0364;ulein gekommen. Jch<lb/>
ward in den Saal gela&#x017F;&#x017F;en, wo &#x017F;ie, in ei-<lb/>
nem &#x017F;ehr &#x017F;chwachen und matten Zu&#x017F;tande, in ei-<lb/>
nem Lehn&#x017F;tuhl &#x017F;aß. Sie bemu&#x0364;hete &#x017F;ich, aufzu-<lb/>
&#x017F;tehen, als ich hinein trat: aber war gezwungen,<lb/>
&#x017F;itzen zu bleiben. Sie werden mich ent&#x017F;chuldi-<lb/>
gen, Herr Belford: ich &#x017F;ollte auf&#x017F;tehen, ihnen<lb/>
fu&#x0364;r alle ihre Ho&#x0364;flichkeit gegen mich Dank zu &#x017F;a-<lb/>
gen. Jch bin tadelnswu&#x0364;rdig gewe&#x017F;en, daß ich<lb/>
den betru&#x0364;bten Ort &#x017F;o ungern verla&#x017F;&#x017F;en wollte.<lb/>
Denn hier bin ich im Himmel, gegen dort: und<lb/>
habe noch dazu gute Leute um mich! &#x2012; &#x2012; Jch<lb/>
habe lange, lange Zeit vorher, keine gute Leute<lb/>
um mich gehabt, &#x017F;o daß ich anfing mich zu wun-<lb/>
dern; dieß &#x017F;agte &#x017F;ie mit einem halben La&#x0364;cheln;<lb/>
wo &#x017F;ie alle hin gekommen wa&#x0364;ren.</p><lb/>
          <p>Jhre Wa&#x0364;rterinn und Fr. Smithen, welche<lb/>
gegenwa&#x0364;rtig waren, nahmen Gelegenheit, abzu-<lb/>
treten. Als wir alleine waren: &#x017F;prach &#x017F;ie: Sie<lb/>
&#x017F;cheinen ein Freund der Leut&#x017F;eligkeit, mein Herr.<lb/>
Sie ließen &#x017F;ich merken, da ich <hi rendition="#fr">mein Gefa&#x0364;ng-<lb/>
niß</hi> verließ, daß ihnen meine traurige Ge&#x017F;chichte<lb/>
nicht ganz unbekannt wa&#x0364;re. Wo &#x017F;ie die&#x017F;elbe<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">nach</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[351/0357] Der ſechs und vierzigſte Brief von Herrn Belford an Hrn. Robert Lovelace. Dienſtags, Abends, den 18ten Jul. Jch bin eben von der Fraͤulein gekommen. Jch ward in den Saal gelaſſen, wo ſie, in ei- nem ſehr ſchwachen und matten Zuſtande, in ei- nem Lehnſtuhl ſaß. Sie bemuͤhete ſich, aufzu- ſtehen, als ich hinein trat: aber war gezwungen, ſitzen zu bleiben. Sie werden mich entſchuldi- gen, Herr Belford: ich ſollte aufſtehen, ihnen fuͤr alle ihre Hoͤflichkeit gegen mich Dank zu ſa- gen. Jch bin tadelnswuͤrdig geweſen, daß ich den betruͤbten Ort ſo ungern verlaſſen wollte. Denn hier bin ich im Himmel, gegen dort: und habe noch dazu gute Leute um mich! ‒ ‒ Jch habe lange, lange Zeit vorher, keine gute Leute um mich gehabt, ſo daß ich anfing mich zu wun- dern; dieß ſagte ſie mit einem halben Laͤcheln; wo ſie alle hin gekommen waͤren. Jhre Waͤrterinn und Fr. Smithen, welche gegenwaͤrtig waren, nahmen Gelegenheit, abzu- treten. Als wir alleine waren: ſprach ſie: Sie ſcheinen ein Freund der Leutſeligkeit, mein Herr. Sie ließen ſich merken, da ich mein Gefaͤng- niß verließ, daß ihnen meine traurige Geſchichte nicht ganz unbekannt waͤre. Wo ſie dieſelbe nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/357
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/357>, abgerufen am 21.11.2024.