Der siebende Brief von Fräulein Clarissa Harlowe an Frau Judith Norton.
Donnerstags, den 29ten Jun.
Meine wertheste Frau Norton!
Jch wende mich an Sie, nach einem recht lan- gen Stillschweigen; das aber doch keinen Mangel der Liebe oder Pflicht zum Grunde ge- habt; vornehmlich in der Absicht, Sie zu bitten, daß Sie mich von zween oder dreyen Puncten versichern, welche ich zu wissen nöthig habe.
Mein Vater, und die ganze Familie, so hat man mir gesaget, sollen heute, wie gewöhnlich, bey meinem Onkel Harlowe seyn. Haben Sie die Güte, mir Nachricht zu geben, ob sie wirk- lich da gewesen sind; ob sie bey Gelegenheit des Geburthsfestes vergnügt waren; und ob Sie von einer Reise oder vorgehabten Reise meines Bru- ders mit dem Capitain Singleton und Herrn Solmes gehöret haben.
Mir ist es wunderlich gegangen, meine liebe, werthe und recht mütterliche Freundinn! - - Sehr wunderlich! - - Herr Lovelace hat sich als einen höchst grausamen und undankbaren Kerl gegen mich bewiesen. Aber, Gott sey Dank, ich bin von ihm entkommen. - - Weil ich unter ganz fremden, ob gleich, wie ich denke, rechtschaffenen
Leuten
Der ſiebende Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Frau Judith Norton.
Donnerſtags, den 29ten Jun.
Meine wertheſte Frau Norton!
Jch wende mich an Sie, nach einem recht lan- gen Stillſchweigen; das aber doch keinen Mangel der Liebe oder Pflicht zum Grunde ge- habt; vornehmlich in der Abſicht, Sie zu bitten, daß Sie mich von zween oder dreyen Puncten verſichern, welche ich zu wiſſen noͤthig habe.
Mein Vater, und die ganze Familie, ſo hat man mir geſaget, ſollen heute, wie gewoͤhnlich, bey meinem Onkel Harlowe ſeyn. Haben Sie die Guͤte, mir Nachricht zu geben, ob ſie wirk- lich da geweſen ſind; ob ſie bey Gelegenheit des Geburthsfeſtes vergnuͤgt waren; und ob Sie von einer Reiſe oder vorgehabten Reiſe meines Bru- ders mit dem Capitain Singleton und Herrn Solmes gehoͤret haben.
Mir iſt es wunderlich gegangen, meine liebe, werthe und recht muͤtterliche Freundinn! ‒ ‒ Sehr wunderlich! ‒ ‒ Herr Lovelace hat ſich als einen hoͤchſt grauſamen und undankbaren Kerl gegen mich bewieſen. Aber, Gott ſey Dank, ich bin von ihm entkommen. ‒ ‒ Weil ich unter ganz fremden, ob gleich, wie ich denke, rechtſchaffenen
Leuten
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[28/0034]
Der ſiebende Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Frau Judith
Norton.
Donnerſtags, den 29ten Jun.
Meine wertheſte Frau Norton!
Jch wende mich an Sie, nach einem recht lan-
gen Stillſchweigen; das aber doch keinen
Mangel der Liebe oder Pflicht zum Grunde ge-
habt; vornehmlich in der Abſicht, Sie zu bitten,
daß Sie mich von zween oder dreyen Puncten
verſichern, welche ich zu wiſſen noͤthig habe.
Mein Vater, und die ganze Familie, ſo hat
man mir geſaget, ſollen heute, wie gewoͤhnlich,
bey meinem Onkel Harlowe ſeyn. Haben Sie
die Guͤte, mir Nachricht zu geben, ob ſie wirk-
lich da geweſen ſind; ob ſie bey Gelegenheit des
Geburthsfeſtes vergnuͤgt waren; und ob Sie von
einer Reiſe oder vorgehabten Reiſe meines Bru-
ders mit dem Capitain Singleton und Herrn
Solmes gehoͤret haben.
Mir iſt es wunderlich gegangen, meine liebe,
werthe und recht muͤtterliche Freundinn! ‒ ‒
Sehr wunderlich! ‒ ‒ Herr Lovelace hat ſich als
einen hoͤchſt grauſamen und undankbaren Kerl
gegen mich bewieſen. Aber, Gott ſey Dank, ich
bin von ihm entkommen. ‒ ‒ Weil ich unter ganz
fremden, ob gleich, wie ich denke, rechtſchaffenen
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/34>, abgerufen am 22.12.2024.
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